Manchmal, o hochgeehrte Lesehäschen, lässt auch euer
Kolumnator das Schreiben sein und liest stattdessen selber etwas. Dabei schaut
er auch bisweilen auf ze.tt
Kennt ihr ze.tt? ze.tt ist das, was herauskommt, wenn die
von der ZEIT Angst bekommen, dass
ihnen die Leser wegsterben, anstatt sich darauf zu verlassen, dass ihnen
andererseits welche zuwachsen werden. Auf der Suche nach einer Lösung geraten
sie ins Hirnwixen und denken dabei ganz, ganz fest ans VICE-Magazin. Das VICE-Magazin (für alle über 35) ist das,
was herauskommt, wenn echt junge Menschen ein Magazin mit gut recherchierten
Geschichten über relevante Themen machen, sich aber für die Gestaltung einen
Art Director (oder eine Art Directrice, keine Ahnung) eintreten, die auch echt
jung ist und noch nie vom Phänomen der Presbyopie,
vulgo Altersweitsichtigkeit gehört hat. Anders gesagt: Ich hatte einmal eine
Reproduktion der First-Folio-Shakespeare-Ausgabe
in der Hand, also alle 36 Dramen des Barden in einem Band. Sie war
lesefreundlicher als eine durchschnittliche VICE-Doppelseite, die nämlich so
aussieht wie ihr eigener Rechtstext. Deshalb bin ich bisher leider an der
VICE-Lektüre gescheitert.
Auf ze.tt hingegen habe ich hin und wieder das eine und
andere gelesen. Also, wenn das die Art von Journalismus ist, die heutige
Noch-nicht-ZEIT-Leser auf die Lektüre der künftigen ZEIT vorbereiten soll, dann
lese ich in Zukunft wahrscheinlich weder ze.tt noch die ZEIT. Für Erkenntnisse
wie die, dass die Verfremdung von Wahlplakaten der wahlwerbenden Partei
wahrscheinlich nicht recht ist, brauche ich hoffentlich noch lange keine
journalistische Unterstützung.
Ein wichtiger Unterschied zwischen ze.tt und VICE besteht
darin, dass sich VICE anscheinend eines Lektorats
erfreut. Das Schöne an einem Lektorat ist, dass nachher weniger Blödsinn
dasteht. Lange dachte ich ja, dass die Blödsinnsdichte in den ze.tt-Artikeln
von Eva Reisinger Eva Reisinger geschuldet sei. Mittlerweile habe ich aber auch
Artikel anderer ze.tt-Autoren gelesen und entschuldige mich hiermit bei Eva
Reisinger. Ich kann nicht ausschließen, dass mittelfristig eine
ze.tt-Blütenlese bevorsteht. Heute darf aber doch noch einmal Frau Reisinger
vor den Vorhang treten, und zwar mit dieser schönen Stelle:
[...] nahm ihn der
Besitzer eines Hotels in seinem Jeep mit. Er raste mit ihm am Beifahrer*innensitz
die kleinen, steilen Straßen des Ortes hinauf [...].
Wir haben also einen Fahrer und einen Beifahrer. Der
Beifahrer sitzt aber nicht am (und leider erst recht nicht auf dem) Beifahrersitz, sondern auf dem Beifahrer*innensitz (dass
der Fahrer auf dem Fahrer*innensitz sitzt, können wir nur vermuten). Verlieren
wir uns nicht in der Frage, wer auf dem Beifahrer*außensitz sitzt, schließlich
handelt es sich um einen Jeep und
nicht um einen VW-Bus. Widmen wir uns lieber dem Rätsel des vorauseilenden Genderns. Denn beide
Sitze (ob innen oder außen) sind von männlichen Menschen besetzt. Die
Genderformel deckt lediglich die Möglichkeit ab, dass hier irgendwann einmal
andere Platz nehmen. Wie dringend brauchen wir sie? Dafür wäre nicht nur zu
klären, ob der Hotelier seinen Jeep exklusiv nutzt oder ob gelegentlich auch
seine Frau oder Tochter damit fährt. Sondern vielmehr folgende Frage: Wie
wahrscheinlich muss es sein, dass irgendwann das Nutzergender von männlich zu
sonstwas wechselt, damit man vorsichtshalber besser gendert? Antwort: Es wäre
unethisch, Wahrscheinlichkeitsprozente gegen Genderdiskriminierung aufzurechnen.
Wenn wir von einem Beifahrer*innensitz
sprechen, obwohl aktuell ein Beifahrer
daraufsitzt, dann kann das nur ein Signal sein, auch so manchen anderen
Terminus kritisch zu überdenken. Wer weiß, was die Zukunft bringt! Sichern wir
uns also rechtzeitig die Rechte nicht nur am Mönch*innenorden, am Freimaurer*innentempel
und natürlich an diversen Brüder*innenschaften.
Bleiben wir vielmehr bei den nur derzeit nachweislich männlich besessenen
Sitzgelegenheiten und gendern wir durchgängig den Päpst*innenthron. Man weiß ja nie. Schönes Wochenende!
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