Freitag, 12. Oktober 2018

Sicherheitshalber

Manchmal, o hochgeehrte Lesehäschen, lässt auch euer Kolumnator das Schreiben sein und liest stattdessen selber etwas. Dabei schaut er auch bisweilen auf ze.tt
Kennt ihr ze.tt? ze.tt ist das, was herauskommt, wenn die von der ZEIT Angst bekommen, dass ihnen die Leser wegsterben, anstatt sich darauf zu verlassen, dass ihnen andererseits welche zuwachsen werden. Auf der Suche nach einer Lösung geraten sie ins Hirnwixen und denken dabei ganz, ganz fest ans VICE-Magazin. Das VICE-Magazin (für alle über 35) ist das, was herauskommt, wenn echt junge Menschen ein Magazin mit gut recherchierten Geschichten über relevante Themen machen, sich aber für die Gestaltung einen Art Director (oder eine Art Directrice, keine Ahnung) eintreten, die auch echt jung ist und noch nie vom Phänomen der Presbyopie, vulgo Altersweitsichtigkeit gehört hat. Anders gesagt: Ich hatte einmal eine Reproduktion der First-Folio-Shakespeare-Ausgabe in der Hand, also alle 36 Dramen des Barden in einem Band. Sie war lesefreundlicher als eine durchschnittliche VICE-Doppelseite, die nämlich so aussieht wie ihr eigener Rechtstext. Deshalb bin ich bisher leider an der VICE-Lektüre gescheitert.
Auf ze.tt hingegen habe ich hin und wieder das eine und andere gelesen. Also, wenn das die Art von Journalismus ist, die heutige Noch-nicht-ZEIT-Leser auf die Lektüre der künftigen ZEIT vorbereiten soll, dann lese ich in Zukunft wahrscheinlich weder ze.tt noch die ZEIT. Für Erkenntnisse wie die, dass die Verfremdung von Wahlplakaten der wahlwerbenden Partei wahrscheinlich nicht recht ist, brauche ich hoffentlich noch lange keine journalistische Unterstützung.
Ein wichtiger Unterschied zwischen ze.tt und VICE besteht darin, dass sich VICE anscheinend eines Lektorats erfreut. Das Schöne an einem Lektorat ist, dass nachher weniger Blödsinn dasteht. Lange dachte ich ja, dass die Blödsinnsdichte in den ze.tt-Artikeln von Eva Reisinger Eva Reisinger geschuldet sei. Mittlerweile habe ich aber auch Artikel anderer ze.tt-Autoren gelesen und entschuldige mich hiermit bei Eva Reisinger. Ich kann nicht ausschließen, dass mittelfristig eine ze.tt-Blütenlese bevorsteht. Heute darf aber doch noch einmal Frau Reisinger vor den Vorhang treten, und zwar mit dieser schönen Stelle:
[...] nahm ihn der Besitzer eines Hotels in seinem Jeep mit. Er raste mit ihm am Beifahrer*innensitz die kleinen, steilen Straßen des Ortes hinauf [...].
Wir haben also einen Fahrer und einen Beifahrer. Der Beifahrer sitzt aber nicht am (und leider erst recht nicht auf dem) Beifahrersitz, sondern auf dem Beifahrer*innensitz (dass der Fahrer auf dem Fahrer*innensitz sitzt, können wir nur vermuten). Verlieren wir uns nicht in der Frage, wer auf dem Beifahrer*außensitz sitzt, schließlich handelt es sich um einen Jeep und nicht um einen VW-Bus. Widmen wir uns lieber dem Rätsel des vorauseilenden Genderns. Denn beide Sitze (ob innen oder außen) sind von männlichen Menschen besetzt. Die Genderformel deckt lediglich die Möglichkeit ab, dass hier irgendwann einmal andere Platz nehmen. Wie dringend brauchen wir sie? Dafür wäre nicht nur zu klären, ob der Hotelier seinen Jeep exklusiv nutzt oder ob gelegentlich auch seine Frau oder Tochter damit fährt. Sondern vielmehr folgende Frage: Wie wahrscheinlich muss es sein, dass irgendwann das Nutzergender von männlich zu sonstwas wechselt, damit man vorsichtshalber besser gendert? Antwort: Es wäre unethisch, Wahrscheinlichkeitsprozente gegen Genderdiskriminierung aufzurechnen. Wenn wir von einem Beifahrer*innensitz sprechen, obwohl aktuell ein Beifahrer daraufsitzt, dann kann das nur ein Signal sein, auch so manchen anderen Terminus kritisch zu überdenken. Wer weiß, was die Zukunft bringt! Sichern wir uns also rechtzeitig die Rechte nicht nur am Mönch*innenorden, am Freimaurer*innentempel und natürlich an diversen Brüder*innenschaften. Bleiben wir vielmehr bei den nur derzeit nachweislich männlich besessenen Sitzgelegenheiten und gendern wir durchgängig den Päpst*innenthron. Man weiß ja nie. Schönes Wochenende!

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