Freitag, 21. Februar 2014

Mehr Beistriche


Ich muss euch rügen: Kein einziger von euch hat die Hausübung ordentlich gemacht. Dafür gibt’s kein Sternderl und kein Mitarbeitsplus, sondern nur noch mehr Beistriche. Das muss sitzen, sonst bleibt die ganze Klasse da, mir ist das vollkommen wurscht.

So. Die Beistriche sind seit letzten Freitag nicht besser geworden. Wir haben noch einige zweifelhafte Fälle zu klären, in denen oft auch mit Kunden schwer handelseinig zu werden ist. Nicht selten geht es um ein "oder" zwischen Hauptsätzen, noch häufiger um ein "und", das sich in derselben Lage befindet. Wieder haben wir für die Unklarheit den Rechtschreibreformatoren zu danken. Super, Jungs! Das habt ihr echt sauber hingekriegt!

Alsdann: Jeder weiß, dass vor "und" und auch vor "oder" kein Beistrich gesetzt wird, wenn Wörter oder Wortgruppen verbunden werden. Wir machen Print, TV und online oder Internetzeugs. Wir trinken Wein oder Bier oder Gin.
Viele haben auch noch im Hinterkopf, dass es mit ganzen Sätzen irgendwie komplizierter ist, und sie wissen nicht recht, wie sie damit umgehen sollen.

Einst war es einfach, und vor der Reform musste der Beistrich in diesem Satz gesetzt werden.

Denn hier sind zwei Hauptsätze verbunden, oder der Satz müsste anders lauten.

Dank der Reform ist der Beistrich zwischen Sätzen nun der Beliebigkeit anheimgefallen. Die Faustregel lautet, dass man überall da einen macht, wo der Kunde keinen haben will, und umgekehrt. So, meine Lieben, kommen die kleinen Korrekturschleifen in die Welt.

Ein Spezialfall ist das nachgestellte "oder" (besser: od'r) meiner Heimat, das einen Beistrich vorangestellt bekommt, weil es einen ganzen Satz vertritt: "Oder verhält es sich etwa nicht so, wie ich gerade dargelegt habe?"

Fieser als von manchen vermutet ist der Beistrich zwischen Adjektiven. Das zeigt sich z.B. an der "neuen, kostenlosen App" im Vergleich zur "neuen kostenlosen App". Der Unterschied erschließt sich mitunter erst nach einem Weilchen, doch ist er vorhanden: jener zwischen einer App, die neu und kostenlos ist, und einer kostenlosen App, die außerdem neu ist. Das Gegenteil schafft, wie so häufig, Durchblick: Im ersteren Fall wäre das eine alte, kostenpflichtige App, im letzteren eine alte kostenlose App.

Klar liegt der Fall z.B. für die "positive allgemeine Stimmung": Hier brauchen wir keinen Beistrich, weil es keinen Sinn ergäbe, statt seiner ein "und" zu setzen. Wir reden nicht von einer Stimmung, die positiv und allgemein ist, sondern von der allgemeinen Stimmung, welche positiv ist.

Was noch? Ah ja. Partizipialkonstruktionen, a.k.a. "das mit den Mittelwörtern". Bahnhof? Beispiel: "An einem geilen Layout feilend, nippte Luke an einem Bier." Oder: "Von seinen Kollegen angemalt, lag Christian da und sah sehr friedlich aus."

Hingegen ohne Beistrich: "Schwer atmend betrachteten alle die Schmusis."

Die Regel – bzw. der Mangel daran – ist hier so ziemlich die gleiche wie für die Infinitivgruppen von letzter Woche: Früher brauchten allein stehende Partizipien keinen Beistrich, erweiterte sehr wohl. Heute dürfen auch erweiterte Partizipien ohne Beistrich stehen, macht sich aber schlecht.

Hab ich was vergessen? Ah ja: Das Datum kriegt Beistriche (am Montag, dem 23. Juli, haben wir kein Hosting). Und die direkte Rede auch, sogar, wenn davor schon ein Satzzeichen steht: "Hört dieses Beistrichgeschreibsel irgendwann auch wieder auf?", scholl es aus zahllosen Leserkehlen.

Ja, tut es. Was machen wir nächste Woche? Keine Ahnung. Vielleicht irgendwas mit Geschlechtern.

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