Freitag, 8. Mai 2015

Warum ich es gerne tröpfeln lasse


Kürzlich hatte ich das seltene Vergnügen, eine Runde mit meinem geschätzten Herrn Bruder zu plaudern.  Selten, weil Höchstderselbe in Voradelberg seinen teils fragwürdigen Lebenswandel ausbreitet (Banking, Mountainbiking, Schnee-Bretting und so). Dabei hat er beiläufig fallenlassen, dass an der Stätte seines beruflichen Wirkens keiner außer ihm Filterkaffee trinkt.

Daraus entnehme ich erstens, dass mein kleiner Bruder ein irre wichtiger Mann sein muss. Immerhin halten sie bloß für ihn eine eigene Kaffeemaschine in Schwung!

Zweitens sagt es mir, dass man auch im Bankgeschäft menschlich bleiben kann. Naja, Kunststück, bei 0,01 % Zinsen.

Drittens bestätigt es, dass Blut geringfügig dicker ist als selbst starker Filterkaffee (dazu gleich mehr). Denn auch ich, meine geschätzten espressogeganselten Lesehäschen, schlürfe gern das, was unsere Freunden in den großen alten US of A ebenso freundlich wie ein bisschen zu kumpelhaft „hot joe“ nennen. Abgesehen davon, dass es in der hiesigen Küche mittlerweile gar keine einschlägige Maschine mehr gibt, trinke ich ja meinen Kaffee praktisch ausschließlich zuhause. Aber trotzdem. Kann mich einmal wer aufklären, was es mit dem Espresso auf sich hat? Ich verstehe es ja, wenn eine gern ihre Bialetti auf den Herd stellt und dann auf das heimelige Brodeln wartet. Wer gern an seiner klassischen Pavoni den Maschinisten gibt – ein Hoch auf sie! Und gegen einen ordentlichen Vollautomaten mit einem kräftigen Mahlwerk habe ich zu keiner Tageszeit was einzuwenden. Aber Kapselmaschinen? Im Ernst? Von der Alu-Problematik und dem Kilopreis will ich ja gar nicht reden. Doch wenn ich in so ein Teil ein pad oder Tab oder was immer einwerfe, muss ich immer an die Wendung denken, mit welcher der verehrungswürdige Raymond Chandler in Playback, seinem letzten Philip-Marlowe-Roman, die überkomplette Ausstattung eines protzigen Cadillac beschreibt: Dieser bietet unter anderem „a cigarette lighter into which you dropped your cigarette and it smoked it for you“. 

Ganz ehrlich, da lobe ich mir ein Tässchen ehrlichen Filterkaffees. Er heißt mich willkommen wie die Oma in den Semesterferien. Man kann sich auch ruhig noch eine zweite Portion reinpfeifen, ohne dass jemand schief schaut. Man spürt dabei, dass man noch lebt, weil ja der gute alte Filterkaffee – ceteris paribus – stärker ist als Espresso. Man kann etwas darin eintauchen, z. B. einen Löffel Riebel. (Dieses ist für mich als Vorarlberger in der Diaspora nahe am Killerkriterium: Ein Kaffee, in den man keinen Riebel eintauchen kann, den darf bitte wer trinken, der keinen Riebel kennt.)

Außerdem, meine Damen und Herren, sind wir als Werberinnen und Werber ja allzumal gehalten, den Finger am Puls der Zeit zu belassen, auf dass wir der Zielgruppe vorhupfen können, was morgen angesagt ist. In diesem Sinne kann ich nur konstatieren: Der Trend zum Filterkaffee für Connaisseurs wurde hieramts vermützt. Der war nämlich schon vor einem Jahr vollrohr angesagt. Wo bleiben die helle Röstung und der porzellanene Filtertröpfler in der Teeküche?

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen