Freitag, 25. August 2017

Wissenschaft


Euer Kolumnator hat ausnahmsweise seinen eigenen Rat befolgt und ist woandershin gefahren, zwecks Erholung, Erhaltungsarbeiten und Eigenurinkonsums – naja, letzteres nicht, aber „Eigenurin“ ist halt ein lässiges Wort mit E. Und was tut der möchtegern-berufsjugendliche Klugscheißer im Urlaub? Genau: ZEIT lesen oder Rasen mähen – beides probiert, kein Vergleich.
Wie immer hat es sich gelohnt, weil ich nämlich etwas Neues gelernt habe, diesmal über die Genderforschung. Anscheinend tobt in Genderforschungskreisen gerade eine betrübliche Kontroverse, deren Anfang ich leider versäumt habe. Aber eine ordentliche intellektuelle Meinungsverschiedenheit ist wie eine Vorabendsoap, da kann man auch später einsteigen. Ich bin dort eingestiegen, wo zwei überaus profilierte Genderforscherinnen, nämlich Judith Butler (die das Fach praktisch erfunden hat), und Sabine Hark von der TU Berlin, auf Anwürfe antworten, die sie einem Emma-Dossier sowie in einem Sammelband eines lesbisch-schwulen Verlages wahrnehmen. Sie tun das, wie ihnen der Schnabel bedauerlicherweise gewachsen zu sein scheint, nämlich beispielsweise so: Unter dem Deckmantel sich schonungslos gebender Kritik beteiligen sie sich genussvoll und bar jeglicher belastbarer Belege am vorurteilsvollen Bashing der Gender- und Queer-Studies.
Ja, genau, das waren zwei Adjektive auf –voll in einem Satz. Warum „genussvoll“ anstatt „genüsslich“? Und „vorurteilsvoll“ kennt nicht einmal der Duden, mit Recht, denn das Gegenteil heißt nicht „vorurteilsleer“, sondern „vorurteilslos“. (Wem ein Gegenbeispiel einfällt, den lade ich übernächste Woche auf eine Schulmilch ein.) So quält man sich als Leser durch schwer Verdauliches, versucht vorurteilslos der Argumentation zu folgen und entschlüsselt irgendwann sogar Sätze wie diesen: Auch linke, queerfeministische und antirassistische Kontexte sind von der epidemischen Ausbreitung dieser "rohen Bürgerlichkeit" (Wilhelm Heitmeyer) nicht gänzlich verschont geblieben – eine Entwicklung, die zweifellos dringend der Reflexion und Kritik bedarf.
Heißt, glaubich: „Auch die Linke vergreift sich mitunter im Ton, da müssen wir uns an der eigenen Nase nehmen. Ach ja, und googlet doch mal Wilhelm Heitmeyer.“
Undsoweiter, bis man (ja, man, also ich) zu Anfang des letzten Drittels an einer Passage hängen bleibt, in der den „Autoren“ (nein, das ist im Original nicht gegendert, obgleich hier anscheinend Menschen mit so schönen noms de plume wie „Doloris Pralina Orgasma“ mitgemeint sind) des besagten Sammelbandes die Leviten gelesen werden. Da heißt es, der Kern des Problems liege in einer „Grammatik der Härte“, die wiederum durch „Unterordnung unter negativierende Zuschreibungen“ gekennzeichnet sei. Es sei ein Mechanismus, der auf die Beseitigung von Binnendifferenzen und empirischer Komplexität, dafür umso mehr auf Homogenität, Abstraktion und Vergleichgültigung im Inneren von Differenz abzielt. Potztausend! Was „Vergleichgültigung“ sein soll, weiß ich nicht, aber dass Abstraktion jetzt böse ist, macht mich stutzen. Wirklich? Ja: Eine gewaltvolle (schon wieder!), weil abstrahierende Denkform. Hat es jemand noch nicht kapiert? ... Die aus Abstraktion soziale Urteile gewinnt und sich moralisch ... ja eh.
Wisst ihr was? Die wissenschaftliche Disziplin, deren hervorragendste Vertreterinnen Abstraktion als Mechanismus der Unterdrückung anprangern, verdient mehr Platz. Fortsetzung folgt.