Euer Kolumnator hat ausnahmsweise seinen eigenen Rat befolgt
und ist woandershin gefahren, zwecks Erholung, Erhaltungsarbeiten und
Eigenurinkonsums – naja, letzteres nicht, aber „Eigenurin“ ist halt ein
lässiges Wort mit E. Und was tut der möchtegern-berufsjugendliche Klugscheißer im Urlaub? Genau: ZEIT lesen oder Rasen mähen – beides
probiert, kein Vergleich.
Wie immer hat es sich gelohnt, weil ich nämlich etwas Neues
gelernt habe, diesmal über die Genderforschung.
Anscheinend tobt in Genderforschungskreisen gerade eine betrübliche
Kontroverse, deren Anfang ich leider versäumt habe. Aber eine ordentliche
intellektuelle Meinungsverschiedenheit ist wie eine Vorabendsoap, da kann man
auch später einsteigen. Ich bin dort eingestiegen, wo zwei überaus profilierte
Genderforscherinnen, nämlich Judith Butler (die das Fach praktisch erfunden
hat), und Sabine Hark von der TU Berlin, auf Anwürfe antworten, die sie einem Emma-Dossier sowie in einem Sammelband
eines lesbisch-schwulen Verlages wahrnehmen. Sie tun das, wie ihnen der Schnabel bedauerlicherweise gewachsen
zu sein scheint, nämlich beispielsweise so: Unter
dem Deckmantel sich schonungslos gebender Kritik beteiligen sie sich genussvoll
und bar jeglicher belastbarer Belege am vorurteilsvollen Bashing der Gender-
und Queer-Studies.
Ja, genau, das waren zwei Adjektive auf –voll in einem Satz. Warum „genussvoll“ anstatt „genüsslich“? Und
„vorurteilsvoll“ kennt nicht einmal der Duden, mit Recht, denn das Gegenteil
heißt nicht „vorurteilsleer“, sondern „vorurteilslos“. (Wem ein Gegenbeispiel einfällt,
den lade ich übernächste Woche auf eine Schulmilch ein.) So quält man sich als
Leser durch schwer Verdauliches, versucht vorurteilslos der Argumentation zu
folgen und entschlüsselt irgendwann sogar Sätze wie diesen: Auch linke, queerfeministische und
antirassistische Kontexte sind von der epidemischen Ausbreitung dieser
"rohen Bürgerlichkeit" (Wilhelm Heitmeyer) nicht gänzlich verschont
geblieben – eine Entwicklung, die zweifellos dringend der Reflexion und Kritik
bedarf.
Heißt, glaubich: „Auch
die Linke vergreift sich mitunter im Ton, da müssen wir uns an der eigenen Nase
nehmen. Ach ja, und googlet doch mal Wilhelm Heitmeyer.“
Undsoweiter, bis man (ja, man, also ich) zu Anfang des
letzten Drittels an einer Passage hängen bleibt, in der den „Autoren“ (nein,
das ist im Original nicht gegendert, obgleich hier anscheinend Menschen mit so
schönen noms de plume wie „Doloris Pralina Orgasma“ mitgemeint
sind) des besagten Sammelbandes die Leviten gelesen werden. Da heißt es, der
Kern des Problems liege in einer „Grammatik
der Härte“, die wiederum durch „Unterordnung unter negativierende
Zuschreibungen“ gekennzeichnet sei. Es sei ein
Mechanismus, der auf die Beseitigung von Binnendifferenzen und empirischer
Komplexität, dafür umso mehr auf Homogenität, Abstraktion und
Vergleichgültigung im Inneren von Differenz abzielt. Potztausend! Was
„Vergleichgültigung“ sein soll, weiß ich nicht, aber dass Abstraktion jetzt böse ist, macht mich stutzen. Wirklich? Ja: Eine gewaltvolle (schon wieder!), weil abstrahierende Denkform. Hat es
jemand noch nicht kapiert? ... Die aus
Abstraktion soziale Urteile gewinnt und sich moralisch ... ja eh.
Wisst ihr was? Die wissenschaftliche Disziplin, deren
hervorragendste Vertreterinnen Abstraktion als Mechanismus der Unterdrückung anprangern,
verdient mehr Platz. Fortsetzung folgt.