Freitag, 5. November 2021

Schadenfreude

 

Es ist, o teure Lesehäschen, im Großen und Ganzen so wie vor einem Jahr. Man hört daher immer öfter, dass es niederschwelligerer (oder niedrigerschwelliger?) Impfangebote bedürfe. Denn wer mit offenen Ohren durch die Stadt und übers Land geht, höre angeblich allüberall ein Raunen, das bei größeren Menschenansammlungen auch in ein Tosen übergehen könne: „Macht uns niederschwellige Impfangebote! Dann gehen wir hin, versprochen!“

 

Euer Ergebener ist da ein bisschen skeptisch. Vielleicht ist es daher ebenso lohnend, den gegenteiligen Weg zu beschreiten. Betrachten wir nämlich den Billigflug. Er kostet fast so wenig wie die Impfung, ist jedem zugänglich, der einen Puls hat, und sein Ausgang ist noch wesentlich zweifelhafter.  Trotzdem drängen sich vor den Schaltern die Massen, dass es nur so eine Art hat, während es im Impfcontainer zugeht, wie in der Tante Jolesch das Entrée in ein Nachtlokal beschrieben wird, in dem aber auch gar nix los ist: Der Kellner lädt Gläser auf ein Tablett, der Pianist beginnt eine schwungvolle Nummer, der Eintänzer wirbelt mit der Eintänzerin übers Parkett – kurz, das Personal entwickelt eine Betriebsamkeit, dass Torberg angesichts der Szene dieses Bonmot von Egon Friedell überliefert: „Ich möcht wetten, die Abortfrau sitzt am Häusl und kackt.“

Was macht den Billigflug so viel attraktiver als die Impfung? Der große Unterschied liegt darin, dass der lächerliche Ticketpreis nur der Anfang ist und man dann zahlreichen Versuchen ausweichen muss, extra zu löhnen. Mehr Gepäck braucht man oder nicht, aber dann kommt der Rest: Zusatzversicherung? Nein, danke. Nebeneinandersitzen gegen Aufpreis, obwohl man die Tickets zusammen gebucht hat? Nein, danke. Online-Check-in? Ja, denn die andernfalls erhobene Deppensteuer beträgt ein Mehrfaches des Ticketpreises. Online-Check-in in der App? Nein, denn das funktioniert nicht. Online-Check-in auf der Website? Ja, aber die hier erhältliche Bordkarte gilt nur, wenn man sie ausdruckt, andernfalls Deppensteuer. Deshalb zuerst Online-Check-in auf der Website, dann in der App anmelden, wo nun plötzlich die Bordkarten erscheinen.

Bei einer bekannt niederträchtigen Piratenlinie, deren Name sich auf „reihert mehr“ reimt, läuft das genau so, und euer Ergebener hatte kürzlich gleich zweimal Gelegenheit, Gestrandeten zu helfen, die die Deppensteuer erlegen hätten müssen, dazu aber mangels funktionierenden Plastikgeldes nicht imstande waren.

Kurz: Ein Billigflug heißt zwar so. Er ist es aber nur, wenn man sich hinreichend geschickt anstellt. Warum das super ist, erklärt uns die Spieltheorie, die in beinahe zulässiger Verkürzung darauf hinausläuft, dass der Mensch ein noch größeres Gfrast ist, als man sich eh schon gedacht hat, indem sich als wahr erweist, dass die Schadenfreude tatsächlich der Freuden reinste ist: Wenn es uns gut geht, finden wir das zwar ganz okay. Noch wohler fühlen wir uns aber, wenn es uns selber so einigermaßen, dem Nebenmenschen aber deutlich mieser geht.

Ich empfehle daher, das Impfangebot versuchsweise mit versteckten Dornen zu versehen. Ohne Online-Terminvereinbarung geht gar nix. E-Mail-Bestätigung Fehlanzeige. „Ein*e Mitarbeiter*in wird sich bei Ihnen melden“ – not. Öffnungszeiten 9–11:30 und 14–16.30 Uhr, und zwar Mo–Do. Kein Impfpass dabei? Zwanzig Liegestütz!

Wer da zum Stich kommt, der darf sich tatsächlich etwas darauf einbilden und, noch wichtiger, mit höhnisch gerecktem Finger auf die andern zeigen. Probieren wir es. Und schönes Wochenende!

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