Freitag, 19. Januar 2024

Entlein und Hässlichkeit

 

Die Segnungen der KI, o fortschrittsbewusste Lesehäschen, zeigen sich ja nicht nur daran, dass man seine Abschlussarbeit nicht mehr selber schreiben muss oder mirnixdirnix Bilder von Einhörnern erzeugen kann, die auf einem Bein stehend mit Wodka Martinis jonglieren, während Albert Einstein ihnen Wattebäusche zuwirft.

So etwas ist natürlich super, aber die KI schenkt uns noch mehr: nämlich das bekannte Trolleyproblem in ganz neuem Gewand. Ihr wisst schon: Eine wildgewordene Straßenbahn fährt auf eine Gruppe von fünf Personen zu. Man könnte eine Weiche umstellen, sodass die Straßenbahn umgeleitet wird. Auf dem anderen Gleis würde sie nur eine Person überfahren. Darf (oder soll man sogar) ihren Tod in Kauf nehmen, um die anderen fünf zu retten? Bei autonomen Fahrzeugen stellt sich die Frage tatsächlich (oder würde sich stellen, wenn wir nicht seit der Cruise-Pleite wüssten, dass ein herkömmliches Auto einen Chauffeur braucht, ein sogenanntes autonomes aber deren zwei, nur, dass die im Fernsteuerungscenter sitzen).

In der Werbung ist es nicht ganz so dramatisch, weshalb es umso sonderbarer anmutet, dass Werbern so gern Gewissenlosigkeit unterstellt wird. Wenn wir gewissenlos wären, wären wir in einer Branche, in der wir Schlimmeres anstellen könnten, Herrschaften!

In der Werbung könnte aber dieser Fall eintreten: Ein Geflügelhändler kommt auf die Idee, auch mit Entchen Geld zu verdienen, die nicht, wie heute gesagt wird, normschön sind. Er will aber nicht das unschöne Geflügel fotografieren. Denn damit würde er ja die armen Küken stigmatisieren. Obwohl die hässlichen Entlein sogar dafür bezahlt würde.

Stattdessen beauftragt er seine Werbeagentur, per KI Bilder von schielenden Stockenten, zerzausten Kolbenenten, unansehnlichen Mandarinenten zu erstellen. Dies ausschließlich, um den psychischen Schaden zu vermeiden, den die reizlosen Entenmodels bei einem Fotoshooting unweigerlich erleiden würden, für das sie nur kraft ihrer Reizlosigkeit gecastet würden, und nicht etwa, weil die KI keine Modelgage verlangt.

So weit, so gut. Als die zuständige Designfachkraft die KI promptet, muss sie aber (nicht zum ersten Mal) feststellen, dass auch die KI nur eine auf Äußerlichkeiten fixierte Drecksau ist. Promptet die Fachkraft Bilder für Enten, so liefert die KI verlässlich platonische Idealvögel, offensichtlich ferne Verwandte jenes Schwans, in dessen Gestalt einst Zeus die Leda rumgekriegt hat. Um realistische Bilder von echten Alltagsviechernzu bekommen, muss man schlimme Wörter verwenden, nach „hässlichen“, „ekligen“, „abstoßenden“ Enten verlangen. Das tut der Designfachkraft, die ja weiß, dass jede Ente auf die eine oder andere Art schön und wertvoll ist, in der Seele weh.

Was also tun?

Ist es besser, dass die Designfachkraft darunter leidet, fiese Prompts zu schreiben? Zu bedenken ist auch, dass die Vorurteile der KI-Drecksau durch solche Prompts wohl noch stärker werden.

Oder ist es besser, wenn die garstigen Entlein vor die Kamera treten, dafür aber immerhin eine Gage kassieren?

Und wie stellt man sich zu der Tatsache, dass Generationen von Designfachkräften mirnixdirnix Bilder von mittelhübschem Geflügel künstlich verschönert haben, um Generationen von mittelhübschen Flattertieren zu suggerieren, dass sie sich ebenfalls hübscher machen müssten? Die KI hab ich übrigens schon gefragt. Die schnatterte, wie üblich, viel, aber nichts Hilfreiches.

Schönes Wochenende!

Freitag, 12. Januar 2024

Unschärfe

 

Ein Rätsel, das uns ins neue Jahr begleitet, ist die Existenz der Textsorten. Wer keine Schulkinder hat, merke auf. Also:

Als das Wünschen noch geholfen hat, wurde im AHS-Deutschunterricht allerlei Literarisches behandelt, mitunter zum Leidwesen jener Schüler, die keine Anwendbarkeit erkennen konnten. Da wurden Gedichte von Gryphius analysiert, da wurde der Schimmelreiter gelesen, Jandls konkrete Poesie prasselte im schtzngrmm und so weiter.

Irgendwann aber wurden die Klagen der Unzufriedenen erhört, allerdings nicht so, wie jene sich das ausgemalt hatten.

Denn das Unterrichtsministerium befreite zwar die Schüler von dem Zwang, sich mit kanonisierter Kultur auseinanderzusetzen. Stattdessen mussten sie aber, wie hieramts schon bemerkt, nun Textsorten verfassen. Die Kinners lernen, wie man einen Blogeintrag verfasst, einen Leserbrief, einen Kommentar oder eine Erörterung, von der sogar das Ministerium eingesteht, dass diese eigentlich nur in der Schule existiert, ähnlich wie Höhlenfauna, die sich ja bekanntlich oft durch Blindheit auszeichnet. Auch die Textanalyse und -interpretation gibt es noch. Wer jetzt aufgepasst hat, der erkennt: Früher waren Schüler spätestens in der Oberstufe gezwungen, zumindest ein bisschen was von jener Sorte Literatur aufzuschnappen, die die Probe der Zeit schon bestanden hat. Das war manchen zuwider, aber die Erfahrung lehrt, dass es hin und wieder nicht schadet, zu wissen, was ein barockes Sonett von einer Glosse der Jahrhundertwende (und zwar jener vor der Jahrtausendwende) unterscheidet.

Heute sind sie gezwungen, sich eine Reihe von Fertigkeiten anzueignen, die höchstwahrscheinlich noch nutzloser sind als die Analyse eines barocken Sonetts. Man muss schon Bildungspolitiker sein, um sich einreden zu können, dass im Jahre 2024 das Verfassen eines Blogeintrags (vom Leserbrief ganz zu schweigen) eine irgendwie verwertbare Fähigkeit für junge Erwachsene sei. Fazit: Anstatt im Deutschunterricht nutzlose Dinge zu treiben, bei denen mit ziemlicher Sicherheit wenigstens ein bisschen Kultur hängen blieb, werden nun nutzlose Dinge getrieben, bei denen absolut nichts hängen bleibt.

Apropos junge Erwachsene: Erinnert sich noch jemand an die Zeiten, als es die Generation X gab? Euer Ergebener gehörte früher dazu. Doch wir sind verschwunden, beziehungsweise: zu Boomern geworden. Die Gen Z (die wahrscheinlich schon den Druck der Alphas spürt), ist gerade noch bereit, die Existenz von Millennials zur Kenntnis zu nehmen, wenn auch mit Verachtung. Aber alles davor sind Boomer. Wahrscheinlich war auch Gryphius schon ein Boomer, auf jeden Fall aber ein alter weißer Mann. Man könnte darüber, als Ergänzung zu diesem Blogeintrag, einen Leserbrief schreiben. Aber ich habe so eine Ahnung, dass damit für die Trennschärfe zwischen meiner Generation und jener meiner Eltern vor dem Urteil der Gen Z nichts zu gewinnen wäre. Ganz zu schweigen davon, dass jene Jungen wahrscheinlich selbst ihre Urgroßeltern unter „Boomer“ einsortieren würden, also jene, die den Nachkriegs-Babyboom stellenweise schon als Eltern miterlebten. Als Trost bleibt uns, dass irgendwann, wohl so um Generation Gamma herum, auch die Gen Z sich bei den Boomern wiederfinden wird, so wie früher oder später auch im Magen alles zusammenkommt.

Schönes Wochenende!

Freitag, 5. Januar 2024

Überraschungstüte


 

Neues Jahr, neues Glück, o teure Lesehäschen. Nach dem, was 2023 so geboten hat, hält euer Ergebener die Spannung kaum noch aus. Womit wird 2024 uns verblüffen? Ob anlässlich der diversen Prozesse gegen den Exbasti das Gottesurteil wieder eingeführt wird? Ob endlich wieder Kokain ins Cocacola kommt? Ob Frauen das Wahlrecht entzogen wird, weil sie aufgrund von allerhand wissenschaftlich voll belegbaren physiologischen Unterschieden einfach nicht qualifiziert sind, demokratisch teilzuhaben?

Man weiß es nicht, aber nachdem die Oberchefin einer führenden westlichen Bildungseinrichtung es auf mehrmalige Nachfrage vom Kontext abhängig gemacht hat, ob es statthaft sei, an ihrer Uni zum Völkermord an Juden aufzurufen, wundert einen halt gar nix mehr so richtig. Mittlerweile ist Claudine Gay als Präsidentin von Harvard zurückgetreten, was nichts besser macht. Da sie schwarz ist, schreibt ihr Rücktritt die Geschichte vom Postkolonialismus als Trumpfnarrativ, das alle anderen sticht, nur weiter, und ob in Harvard sonst noch etwas schiefgelaufen ist als dass eine schwarze Präsidentin fies gecancelt wurde, wird in Kürze keinen mehr jucken. Ausgenommen natürlich die Rechten von de Santis abwärts.

Doch wir haben ja längst den Punkt hinter uns gelassen, an dem die eine Seite sich noch dafür interessiert hätte, was die andere denkt. Stattdessen wird jeweils nur die eigene Befindlichkeitssauce immer zäher eingekocht, bis sich kein Gedanke mehr darin rühren kann.

Angesichts dessen werden wir in einem Jahr wohl richtig erleichtert sein, wenn nichts Schlimmeres passiert ist als dass Trump Präsident und Kickl Kanzler geworden sind. Euer Zweckdichter hat sich ja schon damit abgefunden, dass die FPÖ alle paar Jahre Oberwasser kriegt, bis sie einen derartigen Mist baut, dass die Wählerschaft merkt, wie sie am Schmäh gehalten wurde. Dann frickeln die anderen Parteien eine Weile so herum, dass sich alle nach einer Weile fragen, warum sie es sich eigentlich angetan haben, irgendwen zu wählen, bis die FPÖ, über deren alte Sachen hinreichend Gras gewachsen ist, wieder hervortraut und erklärt, warum man sie wählen sollte: for funsies! Denn Unterhaltungswert, das muss den Blauen der Neid lassen, bieten sie verlässlich. Man darf dabei halt nicht aufs Geld schauen, aber im Entertainment gab es noch nie eine Erfolgsgarantie für Investitionen, so fair muss man sein.

Klar war das Ibizavideo nicht gratis, aber selbst wenn man einerseits die sämtlichen Neben- und Folgekosten der türkis-blauen Koalition einpreist, muss man andererseits auch zugeben, dass dieser Streifen sehr viele Menschen über Österreichs Grenzen hinaus sehr lange sehr gut unterhalten hat. Demgegenüber war zum Beispiel Batgirl bei Produktionskosten von 70 Millionen Dollar eine komplette Nullnummer, weil der Film so schlecht war, dass die Verantwortlichen ihn lieber gleich eingestampft haben, als sich eine Vermarktung in den Kinos anzutun. In diesem Vergleich schneidet Ibiza ganz okay ab, was wir von Volkskanzler Herbert natürlich auch hoffen. Schönes Wochenende!