Ein Rätsel, das uns ins neue Jahr begleitet, ist die Existenz der Textsorten. Wer keine Schulkinder hat, merke auf. Also:
Als das Wünschen noch geholfen hat, wurde im AHS-Deutschunterricht allerlei Literarisches behandelt, mitunter zum Leidwesen jener Schüler, die keine Anwendbarkeit erkennen konnten. Da wurden Gedichte von Gryphius analysiert, da wurde der Schimmelreiter gelesen, Jandls konkrete Poesie prasselte im schtzngrmm und so weiter.
Irgendwann aber wurden die Klagen der Unzufriedenen erhört, allerdings nicht so, wie jene sich das ausgemalt hatten.
Denn das Unterrichtsministerium befreite zwar die Schüler von dem Zwang, sich mit kanonisierter Kultur auseinanderzusetzen. Stattdessen mussten sie aber, wie hieramts schon bemerkt, nun Textsorten verfassen. Die Kinners lernen, wie man einen Blogeintrag verfasst, einen Leserbrief, einen Kommentar oder eine Erörterung, von der sogar das Ministerium eingesteht, dass diese eigentlich nur in der Schule existiert, ähnlich wie Höhlenfauna, die sich ja bekanntlich oft durch Blindheit auszeichnet. Auch die Textanalyse und -interpretation gibt es noch. Wer jetzt aufgepasst hat, der erkennt: Früher waren Schüler spätestens in der Oberstufe gezwungen, zumindest ein bisschen was von jener Sorte Literatur aufzuschnappen, die die Probe der Zeit schon bestanden hat. Das war manchen zuwider, aber die Erfahrung lehrt, dass es hin und wieder nicht schadet, zu wissen, was ein barockes Sonett von einer Glosse der Jahrhundertwende (und zwar jener vor der Jahrtausendwende) unterscheidet.
Heute sind sie gezwungen, sich eine Reihe von Fertigkeiten anzueignen, die höchstwahrscheinlich noch nutzloser sind als die Analyse eines barocken Sonetts. Man muss schon Bildungspolitiker sein, um sich einreden zu können, dass im Jahre 2024 das Verfassen eines Blogeintrags (vom Leserbrief ganz zu schweigen) eine irgendwie verwertbare Fähigkeit für junge Erwachsene sei. Fazit: Anstatt im Deutschunterricht nutzlose Dinge zu treiben, bei denen mit ziemlicher Sicherheit wenigstens ein bisschen Kultur hängen blieb, werden nun nutzlose Dinge getrieben, bei denen absolut nichts hängen bleibt.
Apropos junge Erwachsene: Erinnert sich noch jemand an die Zeiten, als es die Generation X gab? Euer Ergebener gehörte früher dazu. Doch wir sind verschwunden, beziehungsweise: zu Boomern geworden. Die Gen Z (die wahrscheinlich schon den Druck der Alphas spürt), ist gerade noch bereit, die Existenz von Millennials zur Kenntnis zu nehmen, wenn auch mit Verachtung. Aber alles davor sind Boomer. Wahrscheinlich war auch Gryphius schon ein Boomer, auf jeden Fall aber ein alter weißer Mann. Man könnte darüber, als Ergänzung zu diesem Blogeintrag, einen Leserbrief schreiben. Aber ich habe so eine Ahnung, dass damit für die Trennschärfe zwischen meiner Generation und jener meiner Eltern vor dem Urteil der Gen Z nichts zu gewinnen wäre. Ganz zu schweigen davon, dass jene Jungen wahrscheinlich selbst ihre Urgroßeltern unter „Boomer“ einsortieren würden, also jene, die den Nachkriegs-Babyboom stellenweise schon als Eltern miterlebten. Als Trost bleibt uns, dass irgendwann, wohl so um Generation Gamma herum, auch die Gen Z sich bei den Boomern wiederfinden wird, so wie früher oder später auch im Magen alles zusammenkommt.
Schönes Wochenende!
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