Freitag, 28. November 2014

Political Correctness


Hochverehrte Lesehäschen und –innen, die Political Correctness ist wie viele Beziehungen auf Facebook: kompliziert. Einerseits will man ja ein ordentliches Gesellschaftshasi sein und niemandem auf den Schlips treten.

Andererseits gibt es da ja auch noch die Sprache. Her, nur immer her! mit den politisch korrekten Formulierungen. Nur bitte sollen sie nicht schmerzhaft weniger sauber, treffend oder geschmeidig sein als die herkömmlichen Ausdrücke. Was nützt eine Wendung, die sich bei allen entschuldigt, wenn wir schon von der Entschuldigung einen Tinnitus kriegen? Die Sprache ist eine subtile Angelegenheit, und selbst die scheinbar einfachsten Konstruktionen fangen bisweilen unvermutet zu bröckeln an. Max Goldt hat eine so überzeugende Lösung wie die „Studierenden“ anstatt der „Studentinnen und Studenten“mit dem Beispiel von der „toten Studierenden“ lapidar widerlegt. Studierst du noch oder verwest du schon?

Vorsicht ist also geboten, wenn Wörter die Standarte ihrer Korrektheit vor sich hertragen, als wäre die Substanz wichtiger als die Form. Ein – und jetzt wird es ärgstens subjektiv – unsympathisches Beispiel ist mir kürzlich im Standard untergekommen, wo ichweißnichtmehrwer von „Rolli-Nutzern“ gesprochen hat.

Nun bin ich nicht auf dem Laufenden, was Bezeichnungen für Menschen angeht, die zur Fortbewegung auf einen Rollstuhl angewiesen sind. Akzeptabel kann ich „Rolli-Nutzer“ jedenfalls nicht finden. Einst sprach man von „Rollstuhlfahrern“, und ich kann nur spekulieren, was daran politisch unkorrekt war. Vielleicht die Unterstellung, dass Rollstuhlfahrer stets in Bewegung seien, während realiter auch der Rollstuhl oft einfach als Sessel fungiert?

Wie anders ist da der „Rolli-Nutzer“: Es steht einer jeden frei, ob, wie, wann oder wo sie einen Rollstuhl nutzt oder nicht, unabhängig von ihrer physischen Befindlichkeit. Das ist endlich die selbstbestimmte Offenheit, in der sich keine mehr diskriminiert fühlen muss. Yay.

Seltsam und betrüblich ist aber: Auch die Nutzung von – um im Bereich individueller Mobilität zu bleiben – Autos, Fahrrädern oder Mopeds ist der Einzelnen anheim gestellt. Trotzdem würde ich mich schön bedanken, wollte mich eine als „Fahrradnutzer“ anreden, und mit „Auto-“ oder „Mopednutzern“ ist es genauso bestellt. (Höchstens bei Segways kommt man ins Grübeln ...)

Warum also sitzt im Auto ohne Frage eine Autofahrerin, im Rollstuhl aber ein „Rolli-Nutzer“? Wenn ihr mich fragt, macht sich hier das Unbehagen an der eigenen Korrektheit Luft: Es ist leider nicht zu leugnen, dass die Wahl zwischen Autofahren und Zufußgehen der Willkür mehr Raum lässt als jene zwischen Zufußgehen und Rollstuhlfahren.

Diesen Unterschied spürt die politisch korrekte Sprecherin. Doch anstatt es dabei bewenden zu lassen und die Rollstuhlfahrer gemütlich mit den Mopedfahrern in einem Topf schmurgeln zu lassen, will sie noch extra korrekt sein und den gefühlten Unterschied auslöschen, indem sie ihn erst recht hervorhebt. Also

verwandelt sie den Rollstuhlfahrer in den Rolli-Nutzer.

Mich erinnert das an die Wendung „jüdische Menschen“: Wenn eine sich gehalten fühlt, eigens hervorzuheben, dass Juden eh auch Menschen sind, dann ist sie entweder gefährlich denkfaul oder weniger tolerant, als sie uns glauben machen will. Von „christlichen Menschen“ oder muslimischen solchen liest man jedenfalls in der Regel nicht. Als Trost bleibt nur, dass sich selbst der „Rolli-Nutzer“ hinterm Lenkrad umgehend in einen Autofahrer verwandelt.

Freitag, 14. November 2014

Latein oder nein?


Man kann gar nicht weit genug vorausplanen. Schon deshalb nicht, weil sorgfältige Planung das Leben insofern bereichert, als das Leben ja das ist, was einem widerfährt, während man anderes austüftelt. Anders gesagt: Je sorgfältiger geplant, desto spannender stattdessen gelebt.

Deshalb sollte sich jede zeitgerecht darüber Gedanken machen, ob dem vorhandenen, erhofften oder auch überraschend hereingeschneiten Nachwuchs ein solider Lateinkurs frommen würde.

Bevor es jetzt zu spannend wird und die Nägel bis aufs Leben abgekaut sind: Aus meiner Ecke erschallt ein lauttönendes und klar verständliches „Ja, yes, mais oui, aber klar doch!" 

Warum? Ganz einfach. 

Erstens: Latein entzieht sich höchst elegant der Frage nach der unmittelbaren Verwertbarkeit, weil unsere Zeit einer nennenswerten Durchwirkung mit Latein sprechenden Mönchen aufs Bedauerlichste ermangelt. In your face, Leistungsgesellschaft! 

Zweitens: Latein schmuggelt seine Nützlichkeit ebenso elegant durchs Hintertürl wieder herein. Denn wer Latein halbwegs liest, liest ebenso halbwegig einfaches Italienisch, Französisch und sogar Spanisch.  Nutzt’s nix, schadt’s nix. 

Drittens: Wer Latein gelernt hat, kann leichter mit Vokabeln imponieren, die für Nichtlateiner intrinsisch diffizil wirken. (Autochthone Gräzisten tun sich dabei zwar noch leichter, aber der Aufwand wäre echt zu groß.) Noch besser: Gelernte Lateiner lassen sich von solchem Schmonzes nicht beeindrucken. 

Viertens und allerwichtigstens: Latein lehrt bewusstes Nachdenken über sprachliche Zusammenhänge. Wer wissen will, wie Grammatiken funktionieren, lerne zuerst Latein. Es hält für uns Indogermanen genau den richtigen Abstand zur eigenen Muttersprache, um uns grammatische Muster abstrahieren zu lassen, aber nicht so weit weg, dass man ratlos davor stünde wie der Ochs’ vorm neuen Tor oder die Affen vor dem schwarzen Monolithen. Nachdem man sich gründlich mit den verschiedenen Bedeutungsvariablen des Ablativs auseinandergesetzt hat, ist der deutsche Dativ eine gemähte Wiese. Selbst die deutschen Konjunktive rücken nach Bewältigung eines ciceronischen Textes in beinahe vertraute Nähe.

Deshalb, verehrte Lesehäschen: Latein ist die Sprache der Zukunft! Zumindest für alle, die sich stattdessen gern vom Leben überraschen lassen.

Ceterum censeo, dass nur Jobs mit vollständig ausgefülltem Reinzeichnungskleber die Agentur in Richtung Fulfillment verlassen.

Freitag, 7. November 2014

Feine Formen leicht gemacht


Das Leben besteht nicht nur aus gendersensiblen Pronomina – wer hätte auch gedacht, dass es einmal mehr Genders geben würde als Varieties of Heinz! Das passende Gender zum Leben zu finden ist sicher für so manche keine leichte Aufgabe. Doch tagtäglich stehen wir vor Entscheidungen, die belanglos scheinen mögen, aber in Summe eine Existenz doch spürbar besser machen können – wenn wir denn jeweils das Richtige treffen! Weil es, wie die Neue Frankfurter Schule lehrt, kein richtiges Leben im falschen gibt, sind auch scheinbare Kleinigkeiten nur scheinbar solche. Oder, wie meine Schwiegermutter zu sagen pflegt: Im Kleinen merkt man das Schwein.

Als euer ergebener Kolumnator fühle ich mich selbstverständlich verpflichtet, eure Leben allwöchentlich um ein Alzerl besser zu machen. Deshalb hier drei Entscheidungshilfen für Alltagssituationen, in denen so manche schon hässlich gescheitert ist. 

Erstens: Eier werden nicht geköpft. Menschen von Welt ersparen ihrem frühstücklichen Gegenüber das ekelhafte Geräusch, das beim Durchsägen einer Eierschale mit dem Buttermesser entsteht. Stattdessen klopft man höflich mit dem Messerrücken oder Löffel an und entfernt so viele Schalenpartikel digital (d.h. mit den Fingern), bis der Eiermund hinreichend geöffnet ist, um die Köstlichkeit in den Mund gebären zu können. (Wem jetzt nicht vor Eiern graust, der hat einen echten Saumagen.) In Eierlöffeln aus Kunststoff oder Bein ist Geld übrigens gut angelegt, nur zum Anklopfen eignen sie sich mangels Masse nicht wirklich.

Ach ja, und die Eierklopfgeräte, die aus einem Stab mit beweglicher Kugel und einem Kegel untendran bestehen, mögen funktionieren. Doch wer so etwas in der Messerlade hat, gerät leicht in den Ruch der Spülungsbeutelei (englisch: Douchebaggery). Das muss also bitte jede mit sich selber ausmachen. 

Zweitens: Toilettenpapier wird stets so in den Halter gefädelt, dass das lose Ende sich vorne befindet – der Wand ab- und dem Enduser zugewandt. Das wirkt nicht nur freundlicher, sondern bietet zwei handfeste Vorteile. Erstens lässt sich das praktische Accessoire so leichter mit einer Hand bedienen, was Toilettenleser wie ich besonders schätzen. Zweitens verhindert man so Abschürfungen an den Handknöcheln, wenn der Rollenhalter sich an einer verputzten Wand ohne Fliesen befindet. Das betrifft besonders die Mittelschicht, die zwar hinreichend zarte Haut besitzt, um schürfungsgefährdet zu sein, jedoch keinen finanziellen Ponyhof, sodass sie sich nicht selbst wischen müsste. Eine verkehrt angebrachte Klorolle ist somit ein Affront gegen jene gesellschaftlichen Leistungsträger, die ohnehin schon unter täglich wachsendem Druck stehen und das jetzt echt nicht brauchen. 

Und drittens: Nein, zum Anzug gehören sich keine Sneakers. Klarheit schafft, wie so häufig in dieser Kolumne, die Probe auf das Gegenteil, und da merkt ein Mensch mit Herzensbildung sofort: Sneakers zum Anzug sind genauso super wie Jogginghosen mit Penny Loafers, Budapestern oder Gummizughalbstiefeln. Also überhaupt nicht super.

Ich hoffe, mit diesen kleinen Fingerzeigen gedient zu haben.