Bundeskanzler
kommen und irgendwann gehen sie auch wieder. Da muss man manchmal einfach
Geduld haben. An dem jetzigen stimmt mich
misstrauisch, dass er in seinem Job als ÖBB-Chef nicht wirklich sensationell
bezahlt war. Ich meine, was für ein Topmanager bin ich, wenn der
Post-Vorstandschef dreieinhalbmal so viel verdient wie ich?
Wie
auch immer: So wie die Politik derzeit beschaffen ist, reiße ich mir lieber
eine sprachliche Frage her. Falls
wir die Antwort finden, ist sie wahrscheinlich auch haltbarer als die
Umfrageergebnisse von Norbert Hofer. Mich beschäftigt, warum ich über
Formulierungen wie diese stolpere: „Seine
Umgangsformen seien veraltet, selbiges gelte für Weltanschauung und
Stecktuchstil.“
Mein
Stolperstein ist selbiges. Gegen selbiges habe ich prinzipiell natürlich
nichts. „Mindestens ebenso brisant wie
die Ansichten des Kandidaten ist das Interesse seiner Wähler an selbigen“, oder
auch „Selbiger [der Parteivorstand] leckt
sich noch seine Wunden“ – da sitzt alles fugenlos.
Der
Unterschied ist klar: Im ersten Fall springt selbiges für dasselbe ein,
im zweiten und dritten hingegen hat es hinweisende Funktion. Hier könnte auch diese oder jener stehen.
Doch
das wirft nur eine neue Frage auf. Selbiges ist doch dasselbe wie dasselbe, oder? Warum sollte also im
ersten Beispiel nicht selbiges stehen?
Wo
man sich in solchen Fällen schlau macht, wissen wir ja: im Grimmschen Deutschen Wörterbuch. Es lehrt uns, dass
selbiges ein ziemlich bewährtes und
gut abgehangenes Wort ist, mit Belegstellen seit den Kinderjahren des
Neuhochdeutschen. Allerdings hat es meistens nicht allein gechillt, sondern mit
seinem Kumpel bestimmter Artikel,
also: der-, die-, dasselbige.
Im
17. Jahrhundert ist die Freundschaft zwischen den beiden dann ein bisschen
gewohnheitsmäßig geworden, seither findet man selbiges auch allein, d.h. ohne Artikel. Allerdings steht es in den
Belegstellen der Grimms immer mit dem referenzierten Substantiv: selbigen Abend, unter selbigem Grab, in
selbiger Nacht. In die Umgebung dieser Formulierung gehört wohl auch das
schöne Lokaladverb daselbst. Auch als
Demonstrativpronomen in der Bedeutung dieses
oder jenes kennen die Brüder selbiges, bemerken aber: „diese ausdrucksweise, im 17.-18. Jahrh. nicht selten, ist heute in
mustergiltiger, dialectfreier schriftsprache ganz abgekommen und findet sich
nur noch in absichtlich archaisierender oder volksthümelnder sprechweise.“ Die
Diagnose stammt, wohlgemerkt, aus der Mitte des 19. Jahrhunderts, woran man
sieht, dass auch Wörterbuchtitanen sich täuschen können, hat doch das
demonstrative selbige im Journalismus der gehobenen Mittelklasse
auch heute noch seine Fans.(Und ja, die Brüder Grimm schreiben klein.)
Was
lernen wir daraus? Das Deutsche Wörterbuch kennt die Fälle 2 und 3, nicht aber
den ersten. Die Ursache meines Stolperns
gewinnt damit ebenfalls Konturen: Wenn selbiges
die Identität bedeuten soll, hat es damit für mein Gefühl schon genug zu tun.
Um außerdem den Bezug zu einem Wort in einem anderen Satz oder Nebensatz
herzustellen, hätte es gern Verstärkung von der,
die, das. Das ist wie Lenken und Bremsen gleichzeitig: Da kann es dich
leicht aus der Kurve hauen, und als Erkenntnisgewinn bleibt dir nur noch, was
Walter Röhrl erklärt hat: Wenn du den Baum nur hörst, war es Übersteuern. Wenn
du ihn vorher siehst, war es Untersteuern.
So
auch im Satzbau. Es mag schon sein, dass es im Sinne der gängigen Regelwerke
zulässig ist, selbiges der
Doppelbelastung von Verweis und Identitätsbedeutung auszusetzen. Gönnen wir ihm
aber trotzdem die Unterstützung des Artikels. Auch Wörter haben manchmal mehr
als genug zu tun.

Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen