Freitag, 5. August 2016

Mit Seele rauchen


Puuh, das war hart. Fünf Wochen ohne Tschickstummelnachrichten! Wie habt ihr das bloß ausgehalten? Dafür gehen wir heute in die Vollen. Hochkultur! Oder so ähnlich. Und etwas Wehmut. Denn der Tschickstummel, da dürfen wir uns nichts vormachen, ist ein Requisit der Vergangenheit. Wenn heute in einem Kulturerzeugnis feste geraucht wird, dann spielt es garantiert nicht hier und jetzt. Sogar Don Draper hat in der siebten, achten Staffel öfter ausgedämpft als angeraucht. Unvergesslich ist mir eine Warnung in einem Programm der Bundestheater, das ich vor ein oder zwei Jahren durchgeblättert habe: Da vermerkte bei manchen Produktionen eine Fußnote, dass in dieser Inszenierung „aus dramaturgischen Gründen auf der Bühne geraucht“ werde. Die gedachten Adressaten dieser Warnung sind vermutlich dermaßen zartbesaitet, dass ihnen schon der Weg zum Theater Übermenschliches abverlangt, könnte es doch geschehen, dass ihnen auf der Straße wer begegnet, der sich ganz ohne dramaturgische Ausrede eine anzündet. Huch!
Dabei waren der Tschick- bzw. Zigarrenstummel und die Pfeifenasche einst entschieden mehr als Zeitkolorit. Sie waren im wahrsten Sinne die DNA einer Ära.
M, (für alle unter 30: Filmklassiker von Fritz Lang, mit Peter Lorre – immerhin hat meine Nachbarin kürzlich gestehen müssen, dass ihr Und täglich grüßt das Murmeltier nur als Redewendung geläufig ist, während der dazugehörige Film ihr neu war) ist da noch nur ein halbes Beispiel. In M wird zwar binnen fünf Minuten mehr weggepofelt als in zwei Folgen Mad Men (und zwar meist dicke Stumpen, liebevoll gestopfte Pfeifen und dergleichen mehr), doch die Reste spielen keine große Rolle.
Was wäre aber Sherlock Holmes ohne Tschickstummel? Hat doch der große Detektiv eine systematische Sammlung aller möglichen Hinterlassenschaften des Tabakgenießers angelegt, säuberlich geordnet nach Gattungen und Arten.  Da gab es feste Asche und krümelige, helle, dunkle und feine, frische und ältere. Was anderen ihre Käfer, Schmetterlinge oder Briefmarken, das war Sherlock der Tabakrest. Wie mancher Missetäter wäre nicht ungestraft davongekommen ohne diese taxonomische Sorgfalt!
Man mag einwenden, dass wir dafür heute die DNA als Handlungstreiber jeder besseren Polizeiserie haben, verlässlich, wissenschaftlich hochwertig und unangreifbar. Doch leider! liegt hier der Hund begraben. Erstens gibt es kaum eine schändlicher missbrauchte Requisite als die DNA-Analyse. Zum Beispiel sind die Wohnungen in den einschlägigen Serien immer perfekt aufgeräumt. Wenn der Spurensicherer dann ein Haar findet, weiß man: Das ist vom Messermörder, wahrscheinlich ein Typ mit stechendem Blick und beginnender Halbglatze, aber egal, wir haben ja die DNA-Analyse.
Wie bitte? Ich weiß ja nicht, ob ich eine spezielle Drecksau bin, und ich will nicht spekulieren, wie es in euren Bauten ausschaut, meine lieben reinlichen Lesehäschen. Aber eines sage ich euch: Ich habe einen Hund. Wenn ich mir anschaue, wo der überall seine Haare ausstreut, dann kann er froh sein, dass er in der wirklichen Welt lebt. Auf CSI hätten sie ihm schon längst jede Missetat angehängt, seit Kain den Abel erschlug.  Selbst wenn er eine Katze mit neun Leben wäre anstatt ein Hund mit bloß einem – die Sonne würde er nie wieder sehen.
Zweitens hat ein von der Täterin persönlich abgelutschter Tschickstummel doch mehr Sex und lässt uns tiefer in menschliche Abgründe blicken als eine verlorene „Hautschuppe“, ein Wort, bei dem man sich fragen muss, woraus denn Schuppen sonst bestehen sollten. Immerhin war sie am Tatort so aufgewühlt, dass sie gar nicht anders konnte als zum Tschick zu greifen. War es Nervosität? Erschöpfung? Gar Fadesse? Hier tun sich Weiten auf, von denen eine Hautschuppe nur träumen kann. Wie ärmlich dagegen der stereotype DNA-Analysen-Bildschirm, auf dem zwei Sätze bunter Striche sich übereinanderschieben, damit jeder kapiert: die schauen gleich aus.
Soviel zum Tschickstummel im Kriminal. Schweigen wir kurz im Gedenken an ihn, der einst aus jedem Whodunit ein psychologisches Kammerspiel machte. Wir werden seinesgleichen nimmer sehen.

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