Freitag, 18. November 2016

Wissenschaft ist schwer

Heute, verehrte Lesehäschen, ist mal wieder Lieblingsthemenfreitag. Nicht etwa „Lieblingsthemafreitag“, denn wir haben gleich zwei prachtvolle Lieblingsthemen, voll aufgezwirbelt mit Mascherln in der Mähne und Schaum vor dem Maul, die ungeduldig mit den Hufen scharren und aus der Startbox preschen: Erstens die Kinderbetreuung, ach ja, die startet los und ist aber schon um die erste Kurve verschwunden, bevor wir so recht erkannt haben, was das jetzt war.
Viel gemächlicher trabt Lieblingsthema Nummer 2 hinterher. Nur weiß man dabei nicht recht, was es ist: Schöne Formulierungen im Journalismus? Oder Wissenschaft, die uns gerade noch gefehlt hat? Es gibt nämlich, und damit kommt jetzt endlich nicht nur der Hengst über die Startlinie, sondern auch die Katze aus dem Sack, eine Dissertation mit dem schönen Titel „Umgang mit religiöser Differenz in elementaren Bildungseinrichtungen. Eine ethnographische Studie an Kindergärten in katholischer und islamischer Trägerschaft in Wien“ von Dr. Helena Stockinger. Leider wurde sie bisher nicht veröffentlicht, sonst könnte ich mehr dazu sagen. Abgesehen von der Frage, welche Mutter, welcher Vater ein Kind so richtig leichten Herzens und fröhlich einer „elementaren Bildungseinrichtung“ anvertrauen würde, ist das jedenfalls eine interessante Fragestellung, auch wenn sie nicht repräsentativ beantwortet wird (weil nur je ein Kindergarten untersucht wurde). 
Glücklicherweise (für uns) oder leider (wahrscheinlich für Dr. Stockinger) wurde die Dissertation auch im Standard besprochen. Dabei passiert, was halt so passiert, wenn eine umfangreiche wissenschaftliche Arbeit in einer halben Spalte abgehandelt wird: Man fragt sich, was das eigentlich soll. Ich bin sicher, Dr. Stockinger hat eine sorgfältige und wichtige Dissertation geschrieben. Doch was die journalistische Radikalbehandlung übriglässt, ist eine Sammlung von Plattheiten. Nach der Lektüre wünscht man sich nur eines: Hätte man es doch im eigenen Beruf auch so leicht wie Dr. Stockinger scheinbar in dem ihren! Der Artikel verkauft uns zum Beispiel dies als promotionswürdige Erkenntnis: Der Kindergartenraum in katholischer Trägerschaft war sehr stark von christlicher Symbolik geprägt.
Ui! Da heißt es aufpassen! Sind wir wirklich so weit vom christlichen Jihadismus entfernt, wie wir uns gern einreden, und so weiter und so fort! Dazu fällt mir ein, dass vor einigen Monaten ein junger Mensch ein Auto in eine Wiener Fußgängerzone gelenkt hat. Beim Aussteigen, so wurde berichtet, habe er irgendwas mit „Allah“ gesagt, sodass er alsbald als islamistischer Attentäter agnosziert war. Mir scheint das nicht völlig beweiskräftig, denn ehrlich: Sollte es mir einmal unterlaufen, dass ich ein Auto in eine Fußgängerzone lenke, wie einem halt einmal ein Blödsinn passieren kann, dann würde ich dieses ebenfalls zügig verlassen, und ich kann nicht garantieren, dass mir dabei kein Jessasmarandjosef auskäme, jedoch ohne dass ich deshalb gleich bereit wäre, mich für die katholische Sache zu opfern.
Übrigens berichtet Dr. Stockinger von einer muslimischen Mutter, die verhindern wollte, dass ihr Kind im katholischen Kindergarten ein Kreuzzeichen macht. Die katholische Pädagogin wies darauf hin, dass es ihr freistehe, ihr Kind einer nichtreligiösen Betreuungseinrichtung anzuvertrauen. Ich hege den Verdacht, dass ich die betreffende Pädagogin kenne. Wenn ja, dann beweist dieser Vorfall mehr für meine Ansicht zu ihrer Intelligenz als gegen konfessionelle „Bildungseinrichtungen“. Soviel zum Freitag.

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