Bald ist Advent, und vielleicht
habt ihr euren Brief ans Christkind
gleich mir schon abgeschickt. Ich wünsche mir eine Regierung, die keinen allzu großen
Blödsinn macht, denn die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt. Ein kurzer Blick
auf die Plakatwände weckt gleich neue Hoffnung: jene, dass die
Es-lässt-sich-halt-nicht-ändern-Koalitionäre Zurufe aus der Industriellenvereinigung sorgfältig
prüfen. Denn offenbar ist der IV die Wiedereinführung der Fünf-Stufen-Benotung
in der Volksschule zu wenig. Sie will ein Bildungssystem analog der Zweiklassenmedizin einführen, nur mit
viel mehr Klassen. (Übrigens, war irgendjemand von den Leuten, die vor der
dräuenden Zweiklassenmedizin warnen, schon einmal beim Zahnarzt? Anscheinend
nicht, sonst wüssten sie, dass die Erhaltung des eigenen Gebisses eine reine
Geldfrage ist.)
Woher ich das weiß? Weil die
Industriellenvereinigung es plakatiert. Schon seit einigen Wochen hängen Sujets,
in denen sich verschiedene Formen der Naivität treffen – von Waldbären, die
fragen, wozu Industrie oder Exporte gut seien, bis zu jenem anderen Waldbären,
der die treuherzige Versicherung, dass er bei flexibleren Arbeitszeiten
natürlich nicht mehr arbeiten müsse, für bare Münze nimmt. Am interessantesten
ist aber die Frage des vielleicht zwölfjährigen Mädchens: Bekomme ich die beste Bildung,die mir zusteht?
Damit ist klar, dass nicht jedem
die beste Bildung zusteht (wobei die „beste Bildung“ natürlich Verschiedenes
bedeuten kann, je nachdem, was der Betreffenden am ehesten frommen wird).
Vielmehr gibt es Kinder, denen eine bessere Bildung zusteht als anderen. Das
liegt daran, dass die IV (oder ihre Agentur), vor die Wahl zwischen zwei Relativpronomina gestellt, sich für das
gängigere und in diesem Fall ungeeignete entschieden hat. Es ist Zeit, sich bei
Karl Kraus Rats zu erholen, und siehe, er bringt ein klares Beispiel für einen
analogen Fall, nämlich:
Es ist der älteste Wein, den
ich getrunken habe.
Es ist der älteste Wein, welchen ich getrunken habe.
Die, damit hier auch mal die Mafo zu Wort kommt, Grundgesamtheit des ersten Satzes ist die Menge der Weine, die ich bereits
getrunken habe. Thema ist unter diesen der älteste. Als anspruchsloser
Schluckspecht komme ich sicher nicht auf mehr als zwölf oder fünfzehn Jahre.
Der zweite spricht vom ältesten
Wein überhaupt und merkt an, dass ich davon getrunken habe. (Wie alt der
älteste theoretisch verfügbare Wein ist, weiß ich nicht. Ich glaube mich aber
zu erinnern, dass irgendwo Flaschen herumkugeln, deren Inhalt noch die alten
Römer gekeltert haben.)
So ist es leider auch mit der IV
und der Bildungspolitik. Das Mädchen sagt nicht: Bekomme ich die beste Bildung, welche
mir zusteht? Denn es hat bereits verinnerlicht, dass ihm nicht etwa die
beste Bildung zusteht, die es gibt, sondern dass es verschiedene Bildungswege
gibt, deren einige ihm gar nicht zustehen. Es spitzt daher nicht auf die beste
Bildung, sondern nur auf die beste, die (nicht: welche) es eventuell abkriegen
könnte. Die IV appelliert anscheinend an unser Mitgefühl, weil es ja sehr
schade ist, wenn man bereits in diesem Alter jegliche Illusionen über sein
Fortkommen verloren hat.
Ich vermute, auf dem Plakat steht
deshalb nicht welches, weil welches als Relativpronomen sehr
schriftsprachlich wirkt. Wenn die Zielgruppe damit vertraut wäre, wäre es nicht
notwendig, am Bildungssystem viel zu ändern. Man hätte aber nicht in die Falle
tappen müssen, unbedingt eine Headline mit Superlativ formulieren zu wollen. Bekomme
ich die Bildung, die mir zusteht? hätte zwar die Möglichkeit einer
Klassengesellschaft offengelassen, sie aber nicht geradezu postuliert, wie die
nun umgesetzte Version es tut.