Freitag, 23. November 2018

Einteilungssache

Der Dativ, hat man früher gesagt, sei dem Genitiv sein Tod. Mittlerweile wissen wir, dass man auch den Akkusativ nicht unterschätzen sollte, von wegen den korrekten Anschluss. Trotzdem hört man im Hintergrund ab und zu noch den Genitiv röcheln, der übrigens auch Genetiv heißen darf, das ist kein Fehler, sondern eine kleine Kaprize! Dabei liefert er ein herbstlich melancholisches Beispiel dafür, wie die Sprache sich entwickelt und alte Regeln hinter sich lässt, und zwar in seiner Inkarnation als Genitivus partitivus. Wer kein Latein hatte, lernt jetzt was Neues: Der Genitivus partitivus liefert in der Regel eine Mengenangabe und ist nichts anderes als die lateinische Version der gängigen deutschen Formulierung „von“. Du gönnst (Achtung, Eselsbrücke, Gönnitivus!) dir ein Stück vom Kuchen, ein paar Räder von der Wurst, einen Bissen vom Schnitzel.
Denn pars ist lateinisch der Teil, und der Genitivus partititivus sagt uns, wovon der Teil stammt. In der wörtlichen Übersetzung kriegst du (weil Genitiv) eben nicht ein Stück vom Kuchen, sondern ein Stück des Kuchens, einen Festmeter Holzes, eine Ladung Korns. Vielleicht besichtigst du auch einen meiner Paläste. Im Italienischen funktioniert das ebenfalls einwandfrei: ho bevuto dell‘ acqua, ich habe (einen Schluck) des Wassers getrunken, und ich habe mir sagen lassen, dass die Franzosen das ähnlich handhaben, aber da will sich euer Kolumnator jetzt lieber nicht zu weit aus dem Fenster lehnen, denn heuer ist es 300 Jahre her, dass der 30-jährige Krieg begonnen hat, und womit? Genau, mit dem Prager Fenstersturz, da heißt es also vorsichtig sein. Wo waren wir? Beim Partitivus.
Der Partitivus wird nämlich, wie so viele von uns, allmählich alt. Wie so viele von uns verspürt er daher nicht mehr den Drang, bei jedem Hundsderschlagn dabei zu sein, sondern überlegt sich vorher, ob es das wirklich wert ist. Deshalb liest er lieber Zeitung, wenn du „einen Humpen Bier“ bestellst, wie es unter Schluckspechten Sitte ist. Geht es hingegen darum, eine deiner Töchter kennenzulernen, dann steht er natürlich parat. Damit sind wir jetzt beim melancholischen Teil: Geht es um nicht Zählbares, dann bleibt der Partititivus gern auf der faulen Haut liegen. Ein Glas Wasser, eine Fuhre Mist – mit so etwas kannst du ihn nicht locken, und sogar ein Haufen Geld lässt ihn kalt, während er sich einst verpflichtet gesehen hätte, auch in solchen Angelegenheiten herbeizueilen. Zählbare Begehrenswertigkeiten wie Diamanten, Whiskyflaschen oder die obgedachten Töchter locken ihn aber umstandslos aus seiner Lethargie.
Die Frage ist aber, in welchem Fall Wasser, Holz und Geld dann überhaupt stehen? Kommt drauf an. Steht dir der Sinn nach einem Becher warmem Punsch, dann im Dativ, weil einem der Sinn eben nur nach diesem stehen kann. Greifst du dir hingegen einen großen Sack Geld, weil die Gelegenheit gerade günstig ist, da muss man sich nicht lange fragen, was die eigene Leistung war, dann natürlich im Akkusativ. Kurz: Der gute alte Partitivus macht Platz für keinen bestimmten Fall. Sondern der gemeinte Stoff steht im selben Fall wie das Behältnis, der Teil oder was immer. Damit verlieren wir die Zusatzinformation, dass alles, was wir nehmen, verzehren, gebrauchen und so weiter nur ein Teil der Gesamtmenge ist (hoffentlich!). Und gewinnen dafür ein bisschen sprachliche Bequemlichkeit. Man kann natürlich darauf bestehen, dass die innere Logik nicht mehr so ganz aufgeht. Aber spätestens, wenn du im Kaffeehaus „ein Glas Wassers“ bestellst, merkst du, wie wichtig die Logik nicht ist. Zum Wohle!

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