Freitag, 9. November 2018

Kopfrechnen

Mit Statistiken ist es immer so eine Sache, deshalb findet man auch so schwer einen guten Arzt: Medizin ist halt in erster Linie Statistik und die Fähigkeit, sie zu deuten. Zur Ehre der Heilehäschen sei aber festgehalten, dass man kein Arzt sein muss, um Schwierigkeiten mit Prozentrechnung zu haben.
So war von einer Studie zu lesen, die auf der Frankfurter Buchmesse Aufsehen erregt habe: Demnach bespricht die deutsche Buchkritik in erster Linie Bücher von Männern, obwohl Frauen mehr Bücher kaufen und lesen. Die Studie mische mit konkreten Zahlen die Buchmesse auf: Über 60 % der besprochenen belletristischen Werke stammen von Männern, bei Sachbüchern 70 %, bei Krimi, Fantasy und Comic sogar 85 %. Und so weiter. Alles sehr sacklastig, um es volkstümlich zu formulieren! Blöd an der Sache ist nur: Die StudienautorInnen haben darauf verzichtet, die konkreteste aller Zahlen zu erheben. Nämlich das Verhältnis von publizierten Autoren zu Autorinnen. Es kann schon sein, dass die Kritik im Zweifel eher zum Buch vom Mann greift. Vielleicht liegt es aber daran, dass kein Buch von einer Frau zur Auswahl steht. Wir wissen es nicht. Vielleicht werden wir es eines Tages erfahren. Aber jedenfalls nicht aus der Studie, die sich genau dies zum Thema gewählt hat.
Meine aktuelle Lieblingsstudie stammt aber von einer Assistentin an der Wirtschaftsuniversität, über deren Namen ich den Mantel des Schweigens breite. Nur so viel: Nichts, was ich über die WU bisher zu wissen glaubte, musste ich revidieren, seit ich von ihrer Studie gelesen habe.
Es ist nämlich so: Es gibt an der WU Aufnahmetests für Bewerberinnen um Studienplätze, und es gibt auch welche an der Medizinischen Universität. Untersucht man genauer, wer danach einen Studienplatz bekommt, dann zeigt sich: Künftige Ärzte stammen heutzutage mit höherer Wahrscheinlichkeit aus Akademikerfamilien als vor Einführung der Zugangsbeschränkung. Die Aufnahmetests wirken also der sozialen Durchmischung entgegen. Solche Effekte beobachtet man auch an der VetMed oder bei den Zahnärzten.
Nur an der WU haben die Prüfungen überhaupt keinen Einfluss auf die soziale Durchmischung der Studentinnenschaft. Komisch, oder? Die Studienautorin hat aber eine „Vermutung“: Es könnte eventuell – nix Genaues weiß man nicht – daran liegen, dass es an der MedUni weniger Plätze als Bewerber gibt, an der WU hingegen mehr. Ich finde es sehr erfreulich, dass sie dies nur als Vermutung aufstellt. Man darf da nichts präjudizieren. Wenn man in der Wissenschaft nicht exakt vorgeht, wo denn dann? Es werden zweifellos noch eine Reihe genauerer Untersuchungen nötig sein, ehe sich robust beurteilen lässt, ob eine Zugangsbeschränkung, die den Zugang nicht beschränkt, Einfluss auf die soziale Durchmischung der Kandidatinnen hat. Schönes Wochenende!


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