Freitag, 12. April 2019

Aufdecken

Meine lieben Socialhäschen, ich glaube, wir müssen uns was Neues überlegen. Kann jemand ein sogenanntes gesellschaftliches Medium empfehlen, dass diesen Namen verdient? Vor vielen Jahren, noch vor dem lahmen Witz, dass Amazon ja einst Bücher verkauft habe, kursierte der nicht minder lahme Witz, man sei so alt, man könne sich noch an die Zeiten erinnern, wo Eduscho Kaffee verkaufte. Ist eines von euch jugendlich geschmeidigen Häschen tatsächlich schon so alt, dass es sich daran erinnern kann, wie man auf Facebook was von Freunden und Bekannten in der Ferne mitkriegte? Und zwar, ohne dass man dazwischen mit Werbung zugemüllt wurde, und zwar hauptsächlich mit Werbung für überteuerte Spielzeugflugzeuge (ich weiß, wie ein Papierflieger geht) sowie Schuhe und Socken? Danke, Facebook, ich war eh nie der Ansicht, meine Füße seien so schön, dass ich sie ständig zeigen müsse. Der pedale Exhibitionismus ist mir, im Gegenteil, von jeher fremd, ich pflege meine Gehwerkzeuge also verlässlich zu verhüllen, auch ohne dass mir ständig einschlägige Ausrüstungsgegenstände vorgeführt werden, noch dazu welche, wo man nur die Socke zu sehen braucht, um sich den barbergefönten Vollbart am anderen Ende nicht etwa vorstellen zu können, sondern nolens volens zu müssen. Ganz egal, wie oft ich die Dinger sehe, gelbe Socken mit Wappen für 19,90 das Paar werde ich mir auf ewig vorenthalten. Diese Art von Verzicht auf Luxus ist mir die liebste: Man versagt sich unter Aufbietung aller verfügbaren Gleichgültigkeit überteuerte Socken, fühlt sich besser und kann das Ersparte zum Beispiel für Orangenmarmelade auf den Kopf hauen.
Nolens volens ist übrigens Latein und bedeutet ob man will oder nicht. Es eignet sich zum Angeben, ist aber nicht annähernd so hübsch wie das gleichbedeutende englische willy-nilly, das fast ein bisschen schmutzig klingt, aber auf eine nette Art, so wie wenn deine Oma einen schlüpfrigen Witz erzählt und dann die Pointe vergisst.
Im Übrigen heißt es, dass der Hipstervollbart seine Blütezeit hinter sich habe. Das stelle ich mir recht traurig vor, denn nach der Blüte kommt das Verblühen. So ein welker Bart muss gewiss einen betrüblichen Anblick bieten, der freilich im Badezimmerspiegel eures Zweckdichters nie den Geist bedrückt, mangels Bart, ob welk oder nicht. Auf das Welken folgt der Kahlschlag. Und dann? Wird man es den wieder den Elementen ausgesetzten Kinnen ansehen, dass sie über Monate, bisweilen Jahre dicht verpelzt waren? Wenn man sich erstmals den Schädel rasiert, macht die Kopfhaut ja immer einen erstaunten Eindruck. Wo kommt plötzlich dieses viele Licht her? Ist das normal, dass mich alle sehen?
Der Teint so einer frisch freigelegten Kopfhaut erinnert ein bisschen an die interessanten Dinge, die man findet, wenn man draußen einen Stein umdreht. „Lichtscheu“ ist das Wort, das einem auf die Zunge hüpft. Es wird also interessant, ob auch die seit Langem erstmals wieder enthaarten Kinne an unvermutet dem Sonnenlicht ausgesetzte Ameisenpuppen erinnern oder aber sich so harmonisch ins Gesamtgesichtsbild integrieren werden wie ein Asylwerber, dem der Herr Waldhäusl (nomen est omen) gerade nahegelegt hat, sich eine Mietwohnung für 300 Euro zu suchen. Ich bin gespannt!

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