Freitag, 2. August 2019

Textilfrage

Meine lieben Lesehäschen, wie haltet ihr es eigentlich mit dem Vegetarismus? Seid ihr klassische Grünzeughäschen oder macht ihr es eher wie die Eichhörnchen, die, Hunger ist schließlich der beste Koch, notfalls auch einmal ein Küken jausnen? Wo wir schon dabei sind: Wie haltet ihr es mit der Entblößung? Schon vor Jahren musste Olaf Ney erfahren, dass die Dinge selbst auf der Punkseite des Lebens nicht mehr so einfach sind wie einst. Wer ist Olaf Ney? Tja, da scheiden sich jetzt die unter- von den über-30-jährigen Lesehäschen: Olaf Ney ist der Drummer von Feine Sahne Fischfilet, einer Band, die im nicht gerade linken MeckPomm (ja, so nennen die das in Deutschland) so korrekt links ist, dass sie routinemäßig vom Verfassungsschutz beobachtet wird. Vor Jahren entledigte er sich während eines Konzerts, wie früher unter Punkdrummern nicht unüblich, seines T-Shirts, weil ihm, so er, sehr heiß war.  Da musste das Konzert unterbrochen werden, weil nämlich im Verhaltenskodex des Veranstaltungsortes festgeschrieben ist, dass auch Männer angezogen zu bleiben haben, weil Frauen sowieso angezogen bleiben müssen.
Damit, o teure Häschen, darf ich herzlich einladen, mir auf bedenklich dünnes Eis zu folgen. Hört ihr es schon knacken?
Denn es ist ja so: Einerseits ist euer Kolumnator sehr dafür, dass die Menschheit sich ordentlich anzieht. Zwar habe ich Verständnis für berufsbedingtes Lockermachen, wenn man zum Beispiel Bauhackler oder eben Punkdrummer ist. Aber schon bei Oben-ohne-Radfahrern hebt mein innerer Revolutionsgardist peinlich berührt die Augenbraue. Das geht doch auch mit Shirt!
Andererseits – Vorsicht, Schützengrabengeschichte! – war die Regulierung zwischenmenschlicher Bereiche (wozu der Anblick wie auch immer gegenderter Nippel jedenfalls zählt) früher der Höflichkeit überlassen. Das heißt: Einst vertraute man darauf, dass der Mensch sein soziales Kapital durch das stärken wolle, was als ordentliches Benehmen galt (zum Beispiel, nicht mit nacktem Oberkörper durch die Innenstadt zu radeln, oder das Gegenüber respektvoll zu behandeln). Zuwiderhandlung wurde mit Verachtung geahndet. Das hatte den Vorteil, dass die meisten Leute meistens angezogen waren und gleichzeitig Nippelspielraum für Bauhackler und Punkdrummer erhalten blieb.
Mittlerweile darf man aber eh alles außer rauchen, Fleisch essen und Flugzeuge benutzen. Es ist total okay, keine Türen offenzuhalten oder mit Flip-Flops zu Geschäftsterminen zu erscheinen.
Daher haben wir das Vertrauen in die Kraft gesellschaftlicher Anerkennung verloren. In unserer Verzweiflung schreiben wir Verhaltensregeln als Gesetz, Hausordnung oder sonstwas fest. Mitgedacht ist die Unterstellung, dass Vorschriften weniger diskriminierend seien als Benimm-Codes: Man kann von jedem verlangen, die festgeschriebenen Regeln zu kennen, während bei der Beherrschung ordentlicher Umgangsformen die privilegierten Stände, nunja, privilegiert sind. In Wahrheit schützt bei Vorschriften Unwissenheit nicht vor Strafe, während jemand, der einer Frau nicht die Tür aufhielt, zu seiner Verteidigung immer noch ins Treffen führen konnte, er sei von Wölfen großgezogen worden oder habe ein Gelübde abgelegt.
Mir scheint das ein Charakteristikum des Fundamentalismus zu sein. Der Unterschied zwischen der burkatragenden Frau und dem behemdeten Mann ist ja weniger die benötigte Stoffmenge, sondern die Art der Durchsetzung. Es steht (vielmehr: stand) nirgends, dass man nicht oberhalb nackt herumzuradeln habe. Man tat es halt nicht. Hingegen steht sehr wohl geschrieben, wer wann wo eine Burka tragen muss.
Mithin erkennt man den konservativen Scheißer einerseits und den progressiven Gesellschaftsumkrempler andererseits daran, dass beide ihr Shirt anbehalten. Der Scheißer, weil ihm in seinem Shirt egoistischerweise wohler in seiner Haut ist. Der Kämpfer für Geschlechtergerechtigkeit würde sich nackig besser fühlen, behält es aber an, weil es Vorschrift ist.
Schönen Sommer!

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