Die Kunst, o vielgeliebte Lesehäschen, ist eine schöne
Sache. Das unterscheidet sie von der Politik, die von Haus viel Unerfreuliches
mit sich bringt. Umso seltsamer ist es, dass die beiden in den letzten Jahren
so peu-a-peu ihre Plätze auf dem
moralischen Kompass getauscht zu haben scheinen, soweit es die Perspektive
spießig-steuerzahlender Bildungsbürger, wie euer sehr Ergebener einer ist,
betrifft.
Früher nämlich war so ein Künstler ein wilder Hund. Vielleicht nicht zwingend ganz so wild wie Benvenuto
Cellini, der nach dem Frühstück einem Rivalen das Stilett zwischen die Rippen
jagte, ehe er die Saliera schuf oder
so ähnlich, aber doch wild genug, um uns Normalos wohlig erschauern zu lassen
und wieder unsere Vermutung bestätigt zu sehen, dass Genie und Wahnsinn
undsoweiter. Alkohol, Drogen, Frauen, Männer – von allem, was Spaß macht,
durfte sich der Künstler (und die Künstlerin, Amy Winehouse, schau oba!) etwas
bis deutlich mehr gönnen, als eigentlich gesund und akzeptabel war, denn, wie
es in einem wirklich nicht üblen Film mit Mark Wahlberg hieß, He’s a rockstar now, da gelten andere
Regeln.
Politiker hingegen hatten gefälligst verheiratet, treu und
nüchtern zu sein. Man machte Urlaub zuhause oder höchstens im benachbarten
Ausland. Die einzige erlaubte Droge war Schnaps,
und das auch nur im Wahlkampf. Finanzielle Exzesse galten keineswegs als
vertrauensbildende Maßnahme.
Heute ist es umgekehrt: Künstler haben brav zu sein, sonst fliegen sie aus den Galerien beziehungsweise
Playlists. Wer zum falschen Zeitpunkt dem Falschen an den Hintern greift, wird selbst
noch nachträglich aus dem Film geschnitten. Denn Kunst hat gefälligst sauber zu
sein. (Ausnahme: Wenn der Künstler schon tot, das Kunstwerk aber wertvoll ist,
kümmert es keine Sau, ob er ein Schweindi war. Anscheinend geht es nicht darum,
reine Gesinnung zu beweisen, sondern normwidriges Verhalten zu bestrafen.)
Politiker hingegen können gar nicht so ungeniert saufen, schnupfen oder prassen, dass sich nicht eine Klientel
fände, die sie nicht etwa trotzdem wählt, sondern, wie Hans Rauscher kürzlich vermutet
hat, gerade deshalb: Man gibt seine
Stimme heute nicht den Leuten, denen man am ehesten die Verwirklichung der eigenen
gesellschaftlichen Vision zutraut, sondern jenen, die am ruchlosesten so
hinlangen, wie man es selber gerne täte, wenn man denn könnte. Indem man die
größten Schufte wählt, die sich finden lassen, holt man sich vorbeugend die
Absolution für die Schweinereien,
die man irgendwann zu begehen hofft, wenn sich nur eine Gelegenheit dafür
findet. Denn „die sind ja auch nicht besser“. Die Vision hat nicht mehr eine
bessere Welt zum Inhalt, sondern das Ungeschoren-Davonkommen mit einer größeren
persönlichen Bereicherung. Ein 600-Euro-Haarschnitt
mag ein Witz sein, er ist aber ein obszöner Herrenwitz der untersten Schublade,
wenn sich der fesche Träger jenes Haarschnitts im öffentlich-rechtlichen Fernsehen
minutenlang über die Situation von Menschen verbreiten darf, denen er durch
eine Pensionserhöhung geholfen zu haben behauptet, die ihnen in vier Jahren
eine Gesamtverbesserung im Wert eines solchen Haarschnitts bringt. Wer abends
nicht einschlafen kann, der zähle nicht etwa Schafe, sondern male sich aus, was
die PR-Maschinerie der ÖVP für einen Festtag gehabt hätte, wäre zu jener Zeit
ans Licht gekommen, dass z. B. Christian Kern seinem Coiffeur routinemäßig
sechs Hunnis zuzuschieben pflege. Wohlfrisiertes Wochenende!