Was, ihr seid immer noch hier? Ach liebe Häschen, da macht
sich euer Kolumnator jetzt aber Sorgen. Offensichtlich scheitert ihr immer
wieder in eurem Streben nach dem höchsten Glück, das man sich heute unter
Aufbietung aller Vorstellungskraft auszumalen vermag: „abgeholt“ zu werden. Jemanden „abzuholen“ ist das Äußerste, Beste,
Herrlichste, was Kommunikation heute zu leisten vermag.
Das war nicht immer so. Früher galt es den Leser oder Hörer
je nach Textsorte zu überzeugen, zu bezaubern, zu verführen, zu interessieren,
einzuschüchtern oder zu verschrecken. Nicht selten wollte man ihm etwas
erklären, näherbringen, darlegen, unterbreiten, vorschlagen oder
auseinandersetzen. Damals hatte man als Empfänger einer Botschaft halt noch jene
Art von Auswahl, von der Ex-DDR-Bürger sich Anfang 1990 in deutschen
Supermärkten gern überfordern ließen.
Heute: wirst du abgeholt, sonst bleibst du da.
Das wirft natürlich die eine oder andere kitzlige Frage auf,
allen voran: Willst du überhaupt hier weg? Denn es ist natürlich ein Drama, wenn du nicht abgeholt wirst.
Zum Beispiel, wenn du vier bist und die frühkindliche Pädagogin unauffällig zur
Uhr hin schielt, weil es schon 17.30 Uhr ist und deine Mama sich nirgends
blicken lässt, und übrigens kriegen es auch kleine Kinder mit, wenn du
unauffällig auf die Uhr zu schielen versuchst. Nicht alles im Leben wartet aber
aufs Abgeholtwerden wie ein Amazonpaket
im 24-Stunden-SB-Bereich.
Wie ist das passiert? In den Nullerjahren (aus heutiger
Sicht eine Zeit der Unschuld, aus damaliger eher nicht) wurde gern gefordert, den
Leser „dort abzuholen, wo er ist“. Das war natürlich schon ein Käse, denn wenn ausgemacht
ist, dass du deinen Haberer vor der Tenne abholst, weil du eine Zweisitzer-Vespa
hast und seine Puch einen neuen Auspuff braucht, dann wirst du nicht
stundenlang im Gasthof zur Post sitzen und warten, wann er endlich daherkommt. Klar
holt man jemanden dort ab, „wo er ist“. Sonst zählt es nicht als „abholen“,
sondern höchstens als „verpeilt herumhocken“.
Als wäre das nicht doof genug gewesen, ist abholen
jetzt aber echt das Größte. The bee’s knees,
wie die Amerikaner sagen. Es heißt nicht mehr das gefällt mir, sondern das
holt mich ab. Nicht das spricht mich
an, sondern das holt mich ab.
Nicht das finde ich gelungen, sondern
– ihr wisst schon. Man ist nicht einmal mehr hin und weg, sondern das hat
mich total abgeholt. Nur wohin? Ins Land der Begeisterung? Und wenn es dich
abgeholt hat, warum bist du immer noch da?
Man könnte sagen, euer Kolumnator hat ein Thema mit dem
Wort abholen. Man stößt sich nämlich
auch nicht mehr an einem Sachverhalt, etwas bedarf nicht der Klärung oder Optimierung,
es gibt nichts mehr, worüber wir reden müssten – nein: wir haben ein Thema. Ein Thema zu haben ist das negative Gegenstück
zum abholen. Ein Thema ist nicht etwa
interessant oder neu. Wenn wir ein Thema
haben, ist das immer schon schlecht. Hätten wir keines, könnten wir
stattdessen Candycrush spielen oder uns
darüber amüsieren, dass die ÖVP genau dann gehackt worden ist, wenn Unterlagen
auftauchen, die ein Fehlverhalten belegen. Die sind dann nicht von der ÖVP, die
wurden gefälscht. Statt uns daran zu freuen, haben wir ein Thema, also eine
lästige Aufgabe. Erst wenn wir uns um all diese Themen, Themata oder, wie die
Leute, die ein Thema haben, gern
sagen: Themas, erfolgreich gekümmert
haben, dann erreichen wir endlich den Zustand, von dem alle träumen: Wir wurden
nicht etwa abgeholt. Nein: Wir fühlen uns
abgeholt. Denn das Abgeholtwerden ist etwas derart Euphorisierendes, dass
wir danach vor lauter Glück nicht einmal sicher sagen können, ob es uns
widerfahren ist. Schönes Wochenende!
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