Aktuell, meine Lieben, soll man ja als braves Lesehäschen in
seiner Häschenkuhle bleiben, zwecks Vermeidung sozialer Kontakte mit anderen
Häschen, die womöglich fiese Viren spazierentragen.
Trotzdem gilt weiterhin, dass Reisen bildet, weil man dabei
zum Beispiel versäumte Radiosendungen
nachhören kann. Daraus erfährt man nicht nur Interessantes über
High-End-Speisekarten oder moderne Sklaverei, sondern auch, wie man sich
auszudrücken hat, auf dass sich niemand auf den Schlips getreten fühle.
Anscheinend sagt man jetzt nicht mehr „arm“, sondern „armutsbetroffen“. Man kann
nur darüber spekulieren, warum. Sollen jene vor saurem Aufstoßen bewahrt
bleiben, die zwar arm sind, sich aber davon nicht betroffen sehen? Oder sehen
wir hier gelebte Säkularisierung, indem ein armutsbetroffener Mensch wie du und
ich nicht mit jenen Ordensleuten in einen Topf geworfen sein will, die infolge
ihrer Regel zur Armut verpflichtet sind? Euer Ergebener weiß es nicht, ist aber
nicht überzeugt, ob das eine gute Idee ist. Schließlich ist ein Adjektiv ein
Adjektiv, da sollte der kompetenten Sprachnutzerin eigentlich klar sein, dass
jemand, dem eine wenig erstrebenswerte Eigenschaft zugefallen ist, darob keine
Luftsprünge überschäumender Freude vollführen wird. Auch fragt es sich, warum
diese Betroffenheit einstweilen der Armut vorbehalten bleibt? Warum ist bis
dato noch keiner krankheitsbetroffen, arbeitslosigkeitsbetroffen,
hässlichkeits- oder dummheitsbetroffen?
Gerade in letzterem Fall eine schwer einzusehende Einschränkung, wird doch
die Ungleichbehandlung von materiell und geistig Armen den betreffenden
Betroffenen kaum begreiflich zu machen sein!
Doch damit nicht genug. Wenn man armutsbetroffen sein kann, kann man dann auch reichtumsbetroffen sein? Schließlich macht irdischer Tand
bekanntlich nicht glücklich.
Womöglich spürt man die anderen Sorgen im Gegenteil nur umso bitterer, wenn es
einem materiell an nichts mangelt. Wahrscheinlich sogar! Trotzdem dürfen die
bedauernswerten Reichen ihre Betroffenheit nicht so selbstbewusst herumtragen
wie die eben nicht nur Armen, sondern Armutsbetroffenen, die jedenfalls eine
sofortige Buchstabenbereicherung um gut 200 Prozent verzeichnen können.
Die Frage ist natürlich, ob sie sonst noch etwas davon
haben. Bessert es etwas, wenn man „armutsbetroffen“ ist statt arm? Ich kann mir
zwar vorstellen, dass es Leute gibt, die selbstbewusst arm sein wollen, ohne
davon betroffen zu werden. Aber umgekehrt? Fragen über Fragen, und da haben wir
noch gar nicht vom Coronavirus geredet! Wie angenehm.
Schönes isoliertes Wochenende!
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