Man gewöhnt sich ja sehr schnell um, o meine sozial
distanzierten, aber deshalb nicht minder sympathischen und flauschigen
Lesehäschen! Was letzte Woche noch selbstverständlich schien, ist heute schon
fragwürdig, ein Anstoß für erhobene Augenbrauen oder gar Quell des Entsetzens. Als
Fenster in die Vergangenheit dient uns lineares Fernsehen, das wir ja solidarisch
praktizieren sollen. Wie gut es uns immer noch geht, merken wir daran, dass es genügt,
linear fernzusehen, um sein Scherflein zum allgemeinen Besserbefinden
beizutragen. Möge es uns nie schlechter gehen!
Grammatisch haben wir es ja derzeit als Einzelhäschen mit einem
sogenannten distributiven Singular zu tun, beziehungsweise vielen davon:
Wir Häschen sind in unsere jeweiligen Kuhlen verteilt – also distribuiert – und
bleiben dabei möglichst vereinzelt. Dabei passen wir auf, ob es uns eh nicht im
Hals kratzt, und da war schon der distributive Singular: Wir haben nämlich viele Hälse, aber wenn wir davon
sprechen, kratzt es uns im Hals, nicht in den Hälsen. Denn der Sprache ist es
wichtiger, darzutun, dass jedes Häschen nur einen Hals hat, als dass viele
Häschen viele Hälse haben, damit man nicht den Eindruck gewinne, ein Häschen
habe mehrere Hälse.
Natürlich ist dieses Phänomen nicht auf uns Schreibe- und
Lesehäschen beschränkt. Denn wer linear fernsieht, wird mit Shows bedient,
denen allen eine Gemeinsamkeit eignet: Es ist schon eine Weile her, dass die
Dinger produziert worden sind. Es ist so unfassbar lange her, dass man sich heute
nicht genug wundern kann, wie man damals dicht nebeneinander auf Sofas saß,
einander um die gegenseitigen Hälse fiel (vielmehr um den Hals, schon wieder ein distributiver Singular) oder gar
ungeschützte Bussis tauschte!
Ja, so war das damals, ehe das Coronavirus über uns kam, das, wie alles in der Welt, der liebe
Gott gemacht hat. Beim Machen hat er nicht verabsäumt, auch dem Virus ein
bisschen was von seiner göttlichen Eigenheit mitzugeben. Denn so steht geschrieben:
Wo zwei oder drei in meinem Namen
beisammen sind, da bin ich mitten unter ihnen. Lassen wir uns das eine
Warnung sein!
Erfreulicher Nebeneffekt dieser raschen Umgewöhnung ist es
natürlich, dass jegliche Show sich heute bestens für ein Trinkspiel eignet, und
auch, wenn Experten versichern, dass Alkohol nicht zur Coronaprophylaxe geeignet
ist, soll keiner sagen, wir hätten nicht alles probiert. Man kippe einen,
sobald in einer Show etwas geschieht, was derzeit nicht ratsam ist. Oder sobald
ein distributiver Singular zu beobachten ist. So sehen wir etwa bei GNTM Kandidatinnen, die eine bisweilen
schwer erträgliche Vielheit von mädchenhafter Unduldsamkeit darstellen. Auch
hier darf ein zugehöriges Objekt, das zu allen vielen Subjekten gehört, im
Plural stehen: Den GNTM-Bitches klopfte
bei der wöchentlichen Beurteilung das Herz bis zum Hals. Nun hat zwar jede
Kandidatin ein Herz (nur bei Lijana sind sich die Beobachter diesbezüglich
nicht einig, und Heidi selber kommt hier nicht in Betracht) sowie einen Hals, aber wenn jeder
von ihnen jenes bis zu diesem klopft, darf es im resultierenden Satz trotzdem ein singuläres
Herz mit einem singulären Hals bleiben. Prost, und distanziertes Wochenende!
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