Freitag, 22. Mai 2020

Wahlkampf


O allzu distanzierte Lesehäschen, euer treuer Kolumnator kennt sich nicht mehr aus. Wie dieser Tage der Presse zu entnehmen ist, wackeln anscheinend Wahltermine im Herbst. Denn es sei nicht gewährleistet, dass die Wahlberechtigten sich mit hinreichenden Informationen über die wahlwerbenden Parteien versorgen könnten, um eine qualifizierte Entscheidung zu treffen. Das ist Expertensprech für: „In Coronazeiten kann man keinen ordentlichen Wahlkampf führen.“ Darauf kann ich als Teilzeitexperte für alles, was sonst keinen interessiert, nur erwidern: „Habt ihr in letzter Zeit mal Nachrichten geschaut?“
Mindestens ein Parteihäuptling tut offensichtlich seit Anfang März nichts anderes als wahlzukämpfen. Allein der schöne Auftritt im Kleinwalsertal entschädigt für so manches, vom traurigen Papstsegen im Lockdownmodus bis zum Ausfall der Seeprozession in jenem Hallstatt, das zwar – auch interessant – weit mehr chinesische Touristen zu verzeichnen hatte als jedes andere Dorf der Welt, einschließlich chinesischer Dörfer, bis heute aber keine einzige Covid-Infektion.
Unser Bundeserlöser, das ist ja auch nicht unwichtig für einen Politiker, hat einfach ein glückliches Händchen dafür, im Grünen mit dem Wahlvolk Kontakt aufzunehmen. Unvergessen ist sein Ausflug im Juli 2019: Sebastian Jessasmaria Kurz wollte nur ein bisschen wandern, um sich von der Last des Nichtregierens abzulenken, und hastunichtgesehen, schon waren 800 treue Mitwanderer da, die ihm dabei Gesellschaft leisteten, eine Ruhe zu haben. In Wirklichkeit waren es, wir erinnern uns, nur 40, aber das war keine Übertreibung. Vielmehr wusste der nachmalige Erlösekanzler schon damals, dass uns einst das Distancing blühen würde. Wo heute 40 in seinem Namen beisammen sind, zählen sie ungeschaut für 800, und das war damals nicht anders.
Der große Unterschied zwischen der Bergpredigt 2019 und dem Virenkreuzweg 2020 liegt darin, dass Kurz damals nicht Kanzler war und großen Wert darauf legte, dass er sich auch nicht wahlkämpferisch betätigte, sondern sich einfach unschuldig (auch dies im Sinne Jesu: Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder, werdet ihr nicht das Kanzleramt erlangen!) darüber freute, dass so viele Kumpaninnen und Kumpane mit ihm fürbass schritten. Heute hingegen ist er sehr wohl Kanzler, hat aber sich und uns die Peinlichkeit erspart, zu behaupten, dass die Coronakrise ihm kein willkommener Anlass sei, die Wiederwahl zu sichern. Man sieht daran, dass man durch Schweigen nicht nur lügen kann (indem man es unterlässt, eine bestehende unrichtige Auffassung zu korrigieren), sondern auch die Wahrheit sagen.
Ich für mein Teil sehe keinen Grund, irgendwelche Wahltermine zu verschieben. Es sollten sich halt die anderen Politikerinnen und Politiker ein Beispiel nehmen und sich ebenfalls bemühen, über ihre Ansichten und Ziele so zu informieren, wie Kurz das tut, wenn er zum Beispiel den Kleinwalsertalern großherzig verzeiht, dass sein Besuch schlecht vorbereitet war. Wenn sich die anderen da nur ein bisschen mitspielen, traue ich mir allemal zu, am Wahltag ein entschlossenes Kreuzchen zu malen.
Schönes Wochenende!

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen