Freitag, 12. Juni 2020

Killergrille

Wer mehr zuhause ist, o mittlerweile schon leicht fadisierte, aber deshalb um nichts weniger sympathische Lesehäschen, der sucht sich halt seine Zeitvertreibe. Wenn man das Bücherregal erst einmal geordnet hat (Benchmark: Alles steht, nichts liegt), was macht man dann?
Hier scheidet sich die Spreu vom Weizen, beziehungsweise die unterhaltungsorientierte Grille von der vorausschauenden Ameise: Die Ameise weiß, dass man in naher Zukunft die Wohnung wieder mit gesteigerter Regelmäßigkeit verlassen und sich dann umso mehr freuen wird, wenn man ins Hübsche heimkehrt. Deshalb räumt die Ameise nicht nur das Bücherregal auf. Sie ordnet auch den Kleiderschrank neu, baut die Einlegebretter um, malt die Küche aus, schleift sogar Türen ab und verspachtelt sie. (Alle, die sich jetzt gerade Ameisen vorstellen, die im Ameisenbau Türen streichen, dürfen sich ein alkoholhaltiges Getränk nach Wahl gönnen.)
Alles, damit sie sich am Anblick des Erneuerten ergötzen kann, wenn sie von der Nahrungssuche zurück in den Ameisenhaufen kommt.
Die Grille hingegen haut sich aufs Sofa, um gewaltverherrlichende Videospiele zu spielen. Denn wie die Tochter eines ZEIT-Redakteurs dem erstaunten Vater mitteilte: „Es ist entspannend, ein paar Monster wegzublasen.“ Das kann euer Kolumnator nur unterschreiben und outet sich damit als Angehöriger der Grillenfraktion. So weit, so wundervoll. Schwierigkeiten sind aber nicht ausgeschlossen, weil Spielkonsolen ja an den Fernseher angeschlossen werden, der heutzutage zwar nur in Ausnahmefällen zur Wiedergabe des ausgestrahlten Programms, jedoch umsomehr zum Streaming benötigt wird. Außerdem steht der Fernseher ja gern bourgeois im Wohnzimmer herum, also in Sichtweite leicht zu beeinflussender Minderjähriger, so im Haushalt vorhanden. Wo also der Lust am Metzeln frönen? Wohl dem, der in solcher Lage erstens einen verständnisvollen Partner und zweitens ein Gästezimmer hat. Gäste kommen in Coronazeiten ohnehin keine, Fernseher gibt es auf Willhaben reichlich, und schon wird es aus dem Gästezimmer ein Ballerstübchen. Heißa!
Aber nicht so schnell, meine gewaltbereiten Shooterhäschen. Auch der noch so verständnisvolle Partner kann sich nämlich, wenn es an den Bezug obgedachten Ballerstübchens geht, ganz schnell als Grille entpuppen, wobei wir jetzt einmal außen vor lassen, dass Grillen anders als Bienen, Käfer oder Schmetterlinge, hingegen genauso wie Heuschrecken, Wanzen oder Schaben keine vollständige Verwandlung durchmachen, weshalb sie weder verpuppen noch entpuppen können, Bildungsauftrag für heute erfüllt – als Grille also, mit dieser Konsequenz: Du hast am Ort künftiger Hekatomben einen Fernseher von Willhaben, eine Spielkonsole samt zugehörigem Kleinkram, eine Kommode zum Draufstellen – was fehlt noch, bevor das Hauen und Stechen angeht? Was, bitteschön?
Antwort: die Auswahl der passenden Vorhänge. Denn auch wo moralisch fragwürdige Unterhaltung hoffentlich bald an der Tagesordnung ist, kann man sich nicht einfach drüber hinwegschwindeln, ob die Fischchen auf dem Vorhangstoff zum Gästesofabezug passen. Deshalb: Erst Vorhanghäkchen vom unpassenden Vorhang runterfrickeln. Dann Vorhanghäkchen an passenden Vorhang dranfrickeln. Und erst danach losmetzeln.
So läuft das, wenn Ameisen und Grillen ein Leben teilen. Schönes Wochenende!



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