Freitag, 7. Mai 2021

Mein linker kleiner Finger

 

Es ist ja meistens alles ganz einfach, o sprachlich firme Lesehäschen. Wenn einer sich nur um sich selber kümmert, schaut er auf sein Ego und ist ein Ego-ist. Wer sich in Sprachfragen auskennt, kann jenen, die das nicht von sich behaupten dürfen, die Zunge (lateinisch lingua) herausstrecken und sich Lingu-ist nennen. Wer das System gegen sich selbst auszuspielen trachtet, nimmt Leuten, die ihn vielleicht nötiger brauchen, den Sitzplatz nahe der Rezeption weg und ist ein Lobby-ist. Wer etwas ist, kriegt ein -ist eingehängt und ist das dann. So wird aus einem Wort ein neues Substantiv. Ich erzähle nichts Neues, wenn ich berichte, dass man auf ähnliche Weise auch Adjektive herstellen kann. Wenn etwas mit Komik zu tun hat, ist es kom-isch, wenn es aus Italien kommt, italien-isch, und wenn es echt der Hammer ist, tier-isch (zumindest bis ungefähr 1987).

Jedoch kann einem das eine oder andere span-isch vorkommen, wenn der Sprachgebrauch dir nicht etwa ein X für ein U, aber ein y für ein i vormacht. Denn wie nennt man jemanden, der Zeugs auswertet und dir dann erklärt, was es bedeutet? Das ist heute ein Analyst, den wir glaubich volley aus dem Englischen übernommen haben, wo man ja mit dem Ypsilon ein kuschliges Verhältnis pflegt. Bei uns hingegen steht das Ypsilon im Ruch des Geschmäcklerischen, wobei sich die Henne-Ei-Frage stellt, ob dies daran liegt, dass man den kleinen Finger abspreizen muss, um es zehnfingrig zu tippen, oder ob es die Position des linken Außenverteidigers auf der Tastatur innehat, weil es dort so gut hinpasst. Kein Wunder, dass es auf englischen Tastaturen mitten im Geschehen steht!

Im herkömmlichen Standarddeutschen jedenfalls hieß der Typ Analytiker. Darf man ruhig noch sagen, hat den Vorteil, dass man sich die ontologische Verunsicherung zwischen -ist und -yst erspart, freilich erkauft mit dem Nachteil, dass man eventuell selber als geschmäcklerisch gilt.

Die Ypsilon-I-Verunsicherung gibt es, ebenso wie die Herstellungsweise, auch für Adjektive, und zwar für alles, was mit Libyen (und eben nicht Lybien, sonst wäre ja alles klar) zu tun hat. Denn solche Dinge sind libysch, womit wir im Jahre 1934 angelangt wären. Als nämlich die Kommission zur Herstellung fehlender Wörter wieder einmal zusammentrat, weil Italien seine tripolitanischen Besitzungen nunmehr als Italienisch-Libyen bezeichnete und man damals ja sonst nichts zu tun hatte, bot sich die ganz große Luxusauswahl, wie man das entsprechende Adjektiv erzeugen könnte:

Libyisch nach spanischem Vorbild? Libyanisch wie in Brasilien? Libyenitisch, denn diese Methode ist im Jemen geläufig? Oder – naheliegend – libyenisch wie die italienischen Kolonialherren? War alles nix, beschlossen die Sprachkommissare, die es wohl ohnehin nie gegeben hat. Denn es hatten sich Bewegungen formiert, Demonstrationen waren an der Tagesordnung, die Zeitungsredaktionen quollen von Leserbriefen über. Was bewegte das Sprachvolk einst?

Muss man erst einmal draufkommen: Es gab zu wenige Wörter, die mit -ysch enden. Bis dahin waren das nur Flysch (das sind so Steine, für alle, die in Geo nicht aufgepasst haben) und faradaysch (wie der Käfig, der vor Blitzen schützt.) Wer jetzt nachgooglet und den Fluss Irtysch gefunden hat: Den könnt ihr behalten, für Eigennamen gelten eigene Regeln.

Also schuf die Kommission libysch auf Kosten der Logik, aber zur Freude der Sprecher*innen (mehr zum Sternchen vielleicht nächste Woche).

Schönes Wochenende und viel Spaß mit -ysch!

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