Gar mancher neigt in diesen Tagen zur Schwarzseherei, o fröhliche und lebensbejahende Lesehäschen, weil die Wirten nicht rasch genug aufsperren, weil man immer noch nicht überall hinfahren darf (oder etwa „überallhin fahren darf“? Wer weiß!) oder weil man sich auch nach der ersten Impfung noch infizieren kann, wobei euer Ergebener immerhin den jahrzehntelangen Irrtum losgeworden ist, dass man „piksen“ mit ie schreibe, was nicht der Fall ist.
Welcher Zeitpunkt wäre also geeigneter als dieser, darauf hinzuweisen, dass und warum die Lage blendend ist? Ihr fragt nach Beweisen. Gerne! Der Beweis ist das Wort zur Zeit, das linguistische Leitfossil unserer Jahre, das – also, es gibt ja Wörter mit Jahresringen. Wenn du zum Beispiel eine Schulbank aus dem Sperrmüll zerrst, in die jemand liebevoll „affengeil“ geritzt hat, dann musst du nicht lange nachdenken, um draufzukommen, dass Reagan Präsident war, als der Betreffende sich in Mathe dermaßen gelangweilt hat. Wenn der „Klomuscheltaucher mit Spaghettiausrüstung“ eine Beleidigung sein soll, feiern wir die 1970er. Und so weiter.
Die nächste Frage kann nur lauten: Woran wird man einst erkennen, dass ein Chatprotokoll in unseren Tagen gesichert wurde? Nichts leichter als das: „Alles gut“ ist die flächendeckend positive Floskel, mit der wir einander mitteilen, dass nicht etwa nur „das in Ordnung“ ist oder etwas „keine Rolle“ spielt oder die überschwängliche Dankesbezeugung „keine Ursache“ hat oder etwas „schon passt“.
Nein, es ist „alles gut“. Noch etwas Püree? Alles gut. Brauchst du Hilfe? Alles gut. War das eh okay, dass wir gestern Abend um halb elf noch bei euch reingeschneit sind und den Kühlschrank leergesoffen haben? Alles gut. Wirklich alles. Wir brauchen nichts. Noch nie war es so selbstverständlich wie gerade jetzt, einander ständig der umfassenden Vorzüglichkeit der Gesamtlage zu versichern.
Verfehlt wäre es, das Gute mit dem Okayen oder gar Palettinen in einen Topf zu werfen. Wenn alles okay ist, liegt nichts im Argen. Wenn alles paletti ist, sind die Schwierigkeiten ausgeräumt. Aber niemand käme auf die Idee, ablehnend „alles okay“ zu erwidern, wenn ihm der Gastgeber anbietet, Wein nachzuschenken. Verblüfft wäre zweifellos, wer das Partnergeschöpf fragt, ob man Bier im Kühlschrank nachschlichten soll, weil ja gestern Abend dieser Überraschungsbesuch nicht lockergelassen hat, und zur Antwort „alles paletti“ erhält. „Alles gut“ behauptet nämlich nicht, dass etwas besser ist als vorher oder besser als erwartet. Wenn „alles gut“ ist, kann der Status quo so bleiben, die Entropie hat ihren Schrecken verloren. Freilich bedeutet es auch, dass nichts Besseres nachkommt, weil jede Änderung eine zum Schlechteren wäre, wenn eh schon alles gut ist.
Und also, meine zufrieden, aber unaufdringlich schnarchenden Lesehäschen, wollen wir hoffen, dass die Welt so bleibt. Ihr könnt aufhören zu lesen. Alles gut.
Und schönes Wochenende!
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