Tut ihr noch, o nicht genug zu schätzende Lesehäschen? Oder seid ihr schon? Dies ist, abseits aller Sternchen und Leerstellen, die Frage, an der sich die verschnarchte Spreu vom sprachlich aufmerksamen Weizen scheidet: Glaubt ihr mitzugehen, oder seid ihr tatsächlich schon mitgehend? Seid ihr gestaltend oder gestaltet ihr noch wie einst, als wir auf den Bäumen saßen?
Denn letzte Woche haben wir gelernt, dass nichts besser werden muss, weil alles gut ist. Diese Woche lernen wir, dass wir dafür auch nicht das Geringste tun müssen. Derzeit nämlich vollzieht sich eine Verschiebung der üblichen Ausdrucksweise, die gleich doppelt unaufhaltsam ist, weil sie sich einerseits dem Englischen anschmiegt und ihr andererseits jene zarte Unschlüssigkeit eignet, die der nirgends anstreifenden correctness erst den wahren gout des Unangreifbaren verleiht. Wovon die Rede ist? Vom Siegeszug des Mittelworts I, des Partizip Präsens. Ob es euch schon aufgefallen ist oder nicht: Die Zeiten sind nicht etwa schwer. Sie sind herausfordernd. Wir schätzen oder respektieren einander nicht, wir begegnen einander wertschätzend. Die Wendungen mit -end sind allgegenwärtig und für etwas so Erfreuliches verdächtig uneigentlich. Tun wir nun etwas oder nicht? Man weiß es nicht so genau.
Doch das ist noch nicht alles, denn nun kommt die schlechte Nachricht für alle Altspatzen, die bei Ann and Pat ausgestiegen sind, als die ing-Formen drankamen: Das Deutsche hat jetzt auch eine. Wo immer zwei oder drei vorsichtige Formuliererinnen, Formulierer oder, genau: Formulierende! zusammenkommen, da ist das Partizip Präsens mitten unter ihnen. Denn die Weisheit, dass man die Leute nach ihren Werken und also nach dem, was sie tun, beurteilen soll, ist überholt. Heute tut kein Mensch mehr etwas, stattdessen sind alle nicht etwa Tuende, sie sind tuend und haben damit einen Anglizismus verinnerlicht, von dem nun wirklich niemand ahnen konnte, dass er uns gefehlt hat. Wer ein Leitbild zu schmieden, die erwünschte Beziehung zur Kundschaft zu definieren oder eine Mission in Worte zu gießen hat, der greift umstandslos zur end-Form. Die ÖVP bietet Orientierung für ein gelingendes Leben. Die FH Campus Wien plädiert für ein wertschätzendes Miteinander. Und das Rote Kreuz verkündet: Unser Umgang miteinander ist begeisternd, unser Wirken motivierend sowie gestaltend. Na dann!
Über die Ursachen können wir nur spekulierend sein. Vielleicht hat das Partizip im Zuge der Genderei ein derart positives Damit-kann-man-nix-falsch-machen-Image gewonnen, dass sich halt jeder denkt, es wird schon passen. Vielleicht können wir alle so gut Englisch, dass wir ohne Verlaufsform nicht mehr sein können. (Einziger Wermutstropfen: Auf Deutsch ist es keine Verlaufsform, es sieht nur so aus.)
Wahrscheinlich ist die Konstruktion aber einfach so überzeugend, weil sie unsere Faulheit entschuldigt: Man muss sich nicht mehr dazu durchringen, tatsächlich zu handeln. Denn wir sind allzumal Handelnde, sodass sich der Rest von alleine ergibt. Damit ist nicht nur Adorno endlich überflüssig geworden, weil es keinen Sack zu interessieren braucht, ob es ein richtiges Leben im falschen gibt, wenn wir weder leben noch am Leben oder lebendig sind, sondern einfach lebend sind. Schließlich genügt, wenn unser ganzes Tun ein Sein geworden ist, unsere bloße Existenz, um alles richtig zu machen. Denn wer nix macht, macht bekanntlich nix falsch. Schönes Wochenende!
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