Freitag, 10. November 2023

Reisen bildet

Man muss sich, o schwer geprüfte Lesehäschen, auch über die kleinen Dinge freuen. Zum Beispiel gab es unter den Facebook-Freunden eures Ergebenen nur eine einzige Person, die nach dem 7. Oktober begonnen hat, antisemitischen Dreck zu teilen. Das ist kein schlechter Schnitt, meine Lieben! Facebook wird es freilich nicht heilen. Angesichts dessen, was der Algorithmus für Werbebotschaften hält, die für mich relevant sein könnten, können wir alle noch ein bisschen trainieren, ehe es mit dem Kampf gegen die Maschinen so richtig losgeht.

Apropos: Texas ist eine Reise wert. Einzige Enttäuschung: Texas ist zwar wie die meisten Bundesstaaten ein open carry state, sodass man nur für das versteckte Tragen einer Schusswaffe eine Genehmigung braucht, die auch nicht sonderlich schwer zu bekommen ist. Trotzdem läuft niemand (außer natürlich Polizisten) mit einem Revolver am Gürtel herum. Ansonsten ist es aber so, wie man es sich vorstellt, nur mit besserem Essen. Allen, die der österreichischen Tradition anhängen, an warmen Samstagnachmittagen Fleisch in Kohle zu verwandeln und sich anschließend einzureden, man habe gerade Essen zubereitet, sei ein Besuch im texanischen Barbecue ans Herz gelegt, wo sogar Pute als saftig-zarte Köstlichkeit serviert wird. Eine weitere österreichische Tradition, die man in Texas vergeblich sucht und die keineswegs auf den Osten des Landes beschränkt ist, ist das Sudern, auch bekannt als Motschkern, Raunzen, Jammern und so weiter. Sympathisch ist auch die Selbstverständlichkeit, mit welcher der Texaner die Welt in hier und anderswo einteilt. Sie findet ihren Ausdruck in der Wendung, mit der er Kontakt zu Fremden sucht: Y’all visiting from out of town? Ja, mein Bester, wir sind nicht aus der Stadt. Freilich auch nicht aus dem county, dem Bundesstaat oder überhaupt dem Kontinent. Out of town ist halt ein ähnlich dehnbarer Begriff, wie wenn dir die Stimme sagt, deine voraussichtliche Warteschleifenzeit betrage „mehr als 20 Minuten“. Je nun, es kann sich also ausgehen, ehe wir in einer Supernova verglühen. Muss aber nicht.

Irritierend wirkt eine gewisse Blindheit gegenüber globalen Sachverhalten. Dass man einen Zweieinhalbtonnen-Pickuptruck als mittelgroßes Familienauto sieht, geht dem europäischen Besucher heute nicht mehr als liebenswerte Schrulle ein. Noch seltsamer wird es im mehr oder weniger akademischen Umfeld. So bekommt man im Houston Space Center in zahlreichen Videos von Wissenschaftlern und anderen gebildeten Menschen erzählt, wie sehr der Blick von der ISS auf die Erde ihnen geholfen habe, unseren Planeten als verletzlich und schützenswert zu begreifen. Das ist erfreulich. Aber warum bringt man diese Botschaft in Räumen unters Volk, die tiefer herunterklimatisiert sind, als wir die Heizung hinaufdrehen, wenn wir uns putinbedingt eh schon die gewohnte Komforttemperatur versagen? Also Tipp: Auch bei sommerlichen Außentemperaturen Pullover einstecken, für den Fall, dass man irgendwo hineingeht. Es muss nicht unbedingt das obgedachte Space Center sein. Wenn man vom Parkplatz aus die Boeing mit dem Space Shuttle obendrauf erspäht hat, hat man das Beste eigentlich schon gesehen, vielleicht mit Ausnahme des originalen Mondlandekontrollzentrums inklusive originaler Aschenbecher, die, und das macht den Charme der Sache aus, mit fast originalen Stummeln befüllt wurden, wobei man nämlich – wer kennt sich heutzutage mit Tschicken noch aus – die Asche vergessen hat.

Schönes Wochenende!


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