Freitag, 19. April 2024

Unschuldig

 

Eine euch natürlich bestens bekannte englische Wendung, o polyglotte Lesehäschen, behauptet, es gebe guilty pleasures, also Genüsse, die weniger unschuldig sind als andere. So weit, so gut, doch damit sind nicht etwa Vergnügungen gemeint, in deren Verlauf andere gegen ihren Willen zu schaden kommen. Es bedeutet bloß, dass sich hier jemand unter seinem Niveau verlustiert. Das scheint dem Zweckdichter sonderbar. Zum Beispiel kocht er gern und oft, und zwar nicht nur, weil er gern und oft in Gesellschaft isst und die Gesellschaft dazu eher bereit ist, wenn man ihr etwas halbwegs Genießbares hinstellt. Nein, Kochen macht einfach Spaß, weil man dabei (zumindest, wenn man weiß, was gut für einen ist), nichts anderes tut, genauso wie beim Snowboarden oder beim Rasieren mit dem Messer (auch dies, wenn man weiß, was gut für einen ist). Welches Leben zum Multitasking beim Kochen führt, zeigt die Schlusssequenz von Good Fellas, in der Henry Hill noch für die erweiterte Familie Polpetti kocht, während die FBI-Hubschrauber schon über im kreisen und er nebenbei seine Waffensammlung entsorgt. Lieber nicht.

Doch wir schwiffen ab. Neben seiner Schwäche fürs Kochen hat euer Ergebener auch eine

für Chips mit Ketchup sowie für Dosenravioli. Erstere gehen immer, letztere zumindest alle paar Monate. Das Zweckdichterbalg wiederum schätzt gute Filme und liebt außerdem Reality auf RTL (das N steht bekanntlich für Niveau).

Soll man sich deshalb ein schlechtes Gewissen machen?

Gewiss nicht. Woher wüsste man, was das eigene Niveau ist, wenn man es nicht hin und wieder von unten betrachtete? Vor langer Zeit war euer Kolumnator mit einer ausgewiesenen Hardcore-Cineastin im Kino und sah dort einen Schwarzweiß-Klassiker. Keine Ahnung mehr, was es war, wahrscheinlich ein Film noir wie Billy Wilders Double Indemnity oder etwas in der Art. Die Cineastin sah sich außerstande, das Meisterwerk zu genießen, weil sie, wie sie nachher erklärte, infolge häufigen und ausschließlichen Konsums avantgardistischer Streifen (so sagte man früher zu Filmen, wenn man cool war) mit herkömmlichen Erzählmustern nichts mehr anfangen konnte, ja geradezu ratlos davor stand.

Damit es nicht so weit kommt, sind hin und wieder Dosenravioli fällig. Dies ist vermutlich auch die Funktion populistischer Parteien im Ökosystem der Politik: Man muss verkosten, wie Politik schmeckt, die größtenteils aus Konservierungsmitteln, hochverarbeitetem Getreide, naturidentischen Aromastoffen, diversen E-s, Fett und Zucker besteht (Emulgator: Herbert Kickl), um schätzen zu lernen, dass es Besseres gibt. Es ist lauter schlechtes Zeug drin, damit man woanders das Gute wieder findet (was freilich nicht immer leicht ist).

Ach ja, von letzter Woche bin ich noch schuldig, warum das Revival des Faxgeräts fällig ist: Ich kenne eine Firma mit über 100 Mitarbeitern, die einen solchen Apparat zu genau einem Zweck noch in Betrieb haben: um vormittags in der nahen Metzgerei die Wurstsemmeln für die Jause (für Vorarlberger: Z’Nünar) zu bestellen.

Schönes Wochenende!


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