Freitag, 25. Oktober 2024

Versorgt

 

Morgen, o Lesehäschen, beseelt von Patriotismus mit Augenmaß, ist Nationalfeiertag, was immer das heißen mag. Wenn man seinen Augen trauen darf, feiern wir hier weltmeisterliches Betonieren, kurzsichtige Fremdenfeindlichkeit und die Sorte Neutralität, die sich darauf verlässt, dass sich schon jemand anderer darum kümmern werde. Also alles wie immer, nur mit Kickl. Hier stellt sich vor allem die Frage, was die bessere Verballhornung für den Namen des Vielleicht-doch-nicht-gleich-Volkskanzlers sei: Neigt ihr zum Kicklchen, das zwar interessant kontrastreiche Assoziationen zum Meerschwein- und Eichhörnchen (besonders letzterem!) weckt, uns aber im Schriftbild eine geradezu bäurisch unelegante Aneinanderreihung von fünf Konsonanten aufs Auge drückt?

Oder greifen wir doch lieber zum Kickerl, das österreichische Herablassung ohne unerwünschte Niedlichkeit bietet, allerdings die Vorarlberger außen vor lässt und irgendwie nach freundschaftlicher Fußballpartie klingt?

Ich bin sicher, die Zeit wird es weisen.

Apropos „Zeit“ und „bäurisch“: Die ZEIT hat einen norddeutschen Bauern ein Jahr lang begleitet, um die Sorgen und Nöte des vielgeplagten Standes aus erster Hand zu erfahren. Dazu zählt zum Beispiel der drohende Verlust des Dieselsteuervorteils, der den Armen im Jahr um die 20.000 Euro kosten würde. Da empfindet man gleich festes Mitleid. Allerdings nur, bis man gelesen hat, dass der gute Mann allein mit seinem Hofladen 400.000 Euro Umsatz macht. Ein österreichischer ADEG-Kaufmann hat gut dreimal soviel, muss aber vom Ertrag leben, bewirtschaftet nicht außerdem 150 Hektar Land und bekommt keine 160.000 Euro EU-Förderung.

Dann liest man weiter, dass unser Bauer natürlich auch in Berlin war, um an den dortigen Protesten teilzunehmen. Und bald bekommt die Tatsache, dass Landwirte gerade noch 1 % der deutschen Bevölkerung ausmachen, einen ganz neuen Beigeschmack. Man muss sich schließlich wehren, wenn es dem kleinen, aber fleißigen Landmann politisch an den Kragen zu gehen droht. Denkt man, liest aber in einem Nebensatz, dass der kleine Landmann „mit einem Kumpel“ nicht etwa bei seiner Tante auf dem Sofa genächtigt hat und auch nicht in einem AirBnB im Wedding. Wer auf das Mercure oder so tippt, liegt auch daneben. Nein: Man kommt nicht alle Tage nach Berlin und gönnt sich auch sonst nix. Da darf es schon das Adlon sein.

Mein lieber Scholli, wie man zumindest früher in Deutschland gesagt hat, zu den Zeiten, als man auch gern Witzchen über „Kreditkartenpunks“ riss, d.h. Leute, die gern mit aufgestelltem Bunthaar auf der Straße abhingen, aber doch das Sicherheitsnetz eines international willkommenen Zahlungsmittels nicht missen wollten. Doch während man dem Kreditkartenpunk jugendliche Unbedachtheit zugute halten konnte, ist der Adlonwutbauer eine unerfreuliche Mischung aus der Gewissheit, dass einem das alles eh zusteht und der mitleidigen Herablassung, dass man jetzt doch nicht einfach von heute auf morgen alles ändern kann, wie soll denn das gehen?

Tja, und so wurschteln wir weiter, im 67. Jahr der Gemeinsamen Agrarpolitik. Schönes Wochenende!

Freitag, 18. Oktober 2024

Es liegt was in der Luft

 

Gewählt hätten wir ja nun, o möglicherweise enttäuschte Lesehäschen. Nunmehro wird darüber geschrieben, ob die FPÖ hauptsächlich aus Protest gewählt wurde oder ob wir, van der Bellen zum Trotz, doch eben so sind.

Ich glaube, es liegt am Geruch. Falls ihr es nämlich nicht bemerkt habt: Wir werden seit Jahren schleichend, aber flächendeckend olfaktorisch zugemüllt. Einst gab es an vorsätzlicher Beduftung das Damenparfum (eventuell zuviel davon, sonst okay), das Rasierwasser (eh bald verflogen) und den Wunderbaum (lasset uns schweigen).

Inzwischen gibt es außerdem das Fahrzeugparfum (in teuren Autos: die Beduftungsautomatik), den Raumduft, das Hundeparfum, den Wäscheduft für jene Schleimhautverätzten, denen das normale Waschmittel noch nicht genug stinkt, und weißdergeierwasnochalles.

Bis eben noch konnte man sich von dieser nasalen Übermächtigung eine Auszeit nehmen, indem man sich schneuzte. Doch diese Zeiten gehen zu Ende. Auf dem Enthaarungssektor hat man für ein ähnlich gelagertes Problem noch Optionen: Wenn das Zweckdichterbalg „Bic-Rasierer ohne Schleim“ auf den Einkaufszettel schreibt, dann kann man tatsächlich Einwegrasierer ohne diesen komischen Gleitstreifen kaufen. Was man nicht mehr bekommt, und zwar weder bei Billa noch bei Bipa, sind No-name-Papiertaschentücher ohne Duft. Dort hat man nur noch die Wahl zwischen den überteuerten Softi-/Tempo-/Feh-Rotzfetzen und der Diskontschiene, die einem die Rezeptoren mit Aloe, Blutorange oder sonstwas „Wohltuendem“ verpickt. So wird man dem Spar in die Arme getrieben, der noch „Lovely“ im Regal hat.

Klar, dass unsere Wahrnehmung dadurch verzerrt wird. Wenn man immer eine pinke Brille trägt, schaut das Gras anders aus. Und wenn man sich ständig Mentholduft reinpfeift, glaubt man auch irgendwann, das gehöre so. Was auch nichts Neues ist: Düfte treffen uns direkt ins Gemüt, weil die Nasenschleimhaut ja praktisch eine Erweiterung des Gehirns ist, oder so ähnlich, bitte fragen Sie Ihren Arzt (wird dieser Hinweis eigentlich inzwischen gegendert?).

Es liegt also auf der Hand, dass wir (also nicht ich, aber irgendjemand war es offensichtlich) die FPÖ gewählt haben, weil uns etwas ins Hirn gefahren ist, weil wir wiederum bei Rewe eingekauft haben.

Nun gilt es das Riechorgan einmal kräftig durchzuputzen, wofür sich ein wenigstens vorübergehender Nebenjob als Furzwegschnüffler empfiehlt. Ich kann mir vorstellen, dass sich gerade bei der FPÖ da Möglichkeiten auftun.

Schönes Wochenende!


Freitag, 11. Oktober 2024

Lebensräume

 

Willkommen zurück, o treue Lesehäschen! Die Pause war lang und reich an Erfahrungen. Zum Beispiel an jener Erfahrung, dass es in Los Angeles (und nur dort) die Supermarktkette Erewhon gibt, die erstens schweineteuer ist und dir zweitens keineswegs verspricht, dass die Sachen sonderlich köstlich seien. Vielmehr seien sie sonderlich gut für dich, was man dem Obst und Gemüse schon daran ansieht, dass die Gurken, Bananen undsoweiter aufgereiht strammstehen wie die Zinnsoldaten, sodass sich vor dem inneren Auge des Betrachters ein Berg verrottender Feldfrüchte erhebt, die leider nicht entsprochen haben. Ebenfalls sehr gut ist wahrscheinlich hydrogenated water, also mit Wasserstoff angereichertes Wasser, also wässrigeres Wasser. Noch besser ist gewiss der spanische Schinken, vorgeschnitten und eingeschweißt, dessen Kilopreis sich bei ungefähr 1.000 Euro einpendelt. Im Vergleich zu Tortillachips für 100 Euro kann man das billig oder teuer finden.

Die Zielgruppe sind, wir haben es schon angedeutet, nicht etwa Gourmets (blöd wären sie), sondern Influencer und Hipster mit mehr Kohle als Verstand.

Weit preisgünstiger als Shoppen mit Gspritzten, nämlich um die Leihgebühr der Ausrüstung zu haben, ist Schnorcheln mit Seelöwen. Solches findet ein Stück weiter statt, nämlich bei San Diego. Dortselbst gibt es eine Bucht, in der sich die Seelöwen gerne aufhalten. Ebenso wie die Hipster lassen sie den Neugierigen ganz nah an sich herankommen. Man vermutet, das liege – auch dies wie bei den Hipstern – daran, dass die Seelöwen genau wissen, wer sich in ihrem natürlichen Habitat flinker zu bewegen vermag. Anders als jene sind die Seelöwen aber in diesem Wissen umso entspannter, während viele Hipster etwas verbissen wirken auf ihrer Suche nach Produkten, die ihr Befinden weiter optimieren könnten.

Was sonst noch auffällt: Raymond Chandler hielt schon vor bald 80 Jahren fest, dass die Tür der einzige Teil eines kalifornischen Hauses sei, durch den man nicht den Fuß kriegt. Diese geringe Haltbarkeit ist mittelfristig für das Auge von großem Vorteil, denn die überwältigende Mehrheit der Behausungen ist hässlich. Es gibt hässlich in billig (mit Autowracks davor) und in teuer (mit automatischem Tor davor) sowie natürlich auch dazwischen (mit Zufahrt ohne Autowrack davor). Hässlich sind sie aber fast alle. Das durchschnittliche niederösterreichische Eigenheim wirkt im Vergleich dazu wie ein Riedelglas, das durchschnittliche Vorarlberger Eigenheim wie van Goghs „Sonnenblumen“. Man kennt die Bezeichnung McMansion für einigermaßen luxuriöse, aber ästhetisch nebbiche Anwesen (auch bekannt als starter castle). Und man kann beinahe ein bisschen Mitleid mit all den Berühmtheiten bekommen, die zweistellige Millionenbeträge für Palästchen anlegen, die genauso augenkrebsgefährlich sind, aber halt mehr davon.

Lasset uns also frohlocken ob dessen, was wir haben. Auch nach der Wahl.

Schönes Wochenende!