Freitag, 15. Januar 2016

Wozu Schulen gut sind


Fürs neue Jahr hatte ich keinen Vorsatz, für diese Woche habe ich einen: Kolumnierenderweise mindestens eine Reaktion gleich welcher Art zu produzieren. Gut, dass Frau Barbara Herzog-Punzenberger, Leiterin des Instituts für Pädagogik und Psychologie an der Uni Linz, dem Standard ein Interview gegeben hat. Der Schule obliege unter anderem die Eingliederung der Kinder in die Gesellschaft. Dies sei nur in „schichtmäßig, sprachlich und kulturell vielfältige[n] Klassen“ möglich. Private Kindergärten und Schulen aber wiesen meist eine andere Klientel auf als die umliegenden öffentlichen Schulen – nämlich eine mit weit geringerem Zuwanderungshintergrund.

Knallhart gesagt: Hier reproduzierten sich „Eliten, die von den realen gesellschaftlichen Verhältnissen von Kindheit an wenig Ahnung haben“. Deshalb sollte man Privatschulen am besten abschaffen. Und überhaupt: „Wenn die soziale Zusammensetzung der Familien stark von jener der Nachbarschaft oder des Gemeindedurchschnitts abweicht ist, die Frage, ob die öffentliche Unterstützung durch Lehrergehälter überhaupt noch gerechtfertigt ist.“

Um es höflich zu formulieren: Ich finde das problematisch, besonders, dass die Geschichte am jeweiligen Wohnbezirk festgemacht werden soll. Denn wenn eine Elite sich unbedingt unter Ausschluss breiter Bevölkerungsschichten reproduzieren will, wird sie durch die Abschaffung der Privatschulen ja nicht davon abgehalten. Frau Herzog-Punzenberger zwingt sie nur, ihr Wohnviertel entsprechend zu wählen. Will sie mangelnde Durchmischung in der Schule durch Segregation in der ganzen Stadt ersetzen?

Um welche realen gesellschaftlichen Verhältnisse geht es Frau Herzog-Punzenberger? Meine? Die meines Kindes? Die einer Industriellenfamilie in vierter Generation mit Stadtpalais am Tiefen Graben und weiteren Domizilen in Lech, London und Las Vegas?  Wenn es um die gesamtgesellschaftliche Realität geht, warum sich dann mit dem Wohnbezirk als Messlatte bescheiden? Soll mein Freund J, der Forscher mit dem Doktorat und den drei Magisterien – soll der seinen Eltern dankbar sein, weil sie sich einst eine Wohnung im proletarisch-jugoslawischen Rudolfsheim gekauft haben anstatt z. B. im gutbürgerlichen Währing? Wäre dann ein besserer oder schlechterer Mensch aus ihm geworden, ein erfolgreicherer oder ein weniger erfolgreicher? Und was bedeutet es, dass er selber eine Wohnung in Währing erworben hat?

Die traurige Wahrheit ist: Frau Herzog-Punzenberger bleibt auf halbem Wege stehen. Denken wir ihren Vorschlag zu Ende. Losen wir Wohngegend und Schule jeder Familie und jedem Kind unabhängig voneinander zu! Erst dann werden die Kinder angemessen vorbereitet auf – ja, worauf denn nun?

Bei allem Verständnis für den Boden, auf dem das Abschaffungsblümlein gewachsen ist: Ein türkischstämmiges Kind in einer Schule, deren Schülerschaft zu fünfzig oder mehr Prozent aus türkischstämmigen Kindern besteht, wird später von der gesellschaftlichen Realität mindestens so verblüfft sein wie mein eigenes Kind. In seiner Privatschulklasse haben von 25 anderen Kindern zwölf mindestens einen Elternteil mit nicht-deutscher Muttersprache.  Wird es der Zukunft gewachsen sein? Auch wenn Türkisch oder Syrisch nicht vertreten sind, wohl aber Armenisch, Italienisch, Hindi, Tschechisch und Russisch?

Ich weiß es nicht. Ich behaupte aber auch nicht, dass Menschen wie ich, die nicht nur die ersten Akademiker in ihren Familien sind, sondern die ersten mit Matura, gleich sich selbst reproduzierenden Eliten angehören, weil sie ihr Kind in eine Privatschule schicken.

Die Sache mit dem Wohnbezirk ist aus einem weiteren Grund halbgar. Ich habe meine gesamte Schulbildung in öffentlichen Schulen genossen, und der Anteil an Kindern mit Migrationshintergrund in meiner Umgebung war vernachlässigbar. Das spiegelte die Realität meiner Lebenswelt wider, ganz im Sinne von Frau Herzog-Punzenberger. (Vielleicht meint sie tatsächlich die gesamtgesellschaftliche Realität, aber die erlebt niemand, außer vielleicht in diesen Dörfern, wo immer die Wahlergebnisse vorausgesagt werden, weil sie so perfekt den ganzen Staat abbilden.)

Blöd nur: Ich bin dann vom Land in die Stadt gezogen. Meine heutige Lebenswelt entspricht deshalb nicht mehr derjenigen, auf die mich die Schule vorbereitet hat. Menno!

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen