Freitag, 29. Januar 2016

Nie mehr fortgehen


Gestern, meine teuren Lesehäschen, haben es Lara Croft und ich wieder nicht von dieser verfluchten Insel geschafft (kurze Offenlegung: Ja, euer Kolumnator ist gewaltverherrlichenden Computerspielen keineswegs abgeneigt. Ich habe an den bösen Wesen dieser und anderer Welten über die Jahre Hekatomben verübt – also, wenn das jeder wüsste, hätte ich im Zug immer ein Abteil für mich.) Denn mein geliebtes Weib ging gestern Abend entgegen früherer Pläne doch kein Bier trinken – das Treffen hatte sich kurzfristig abgesagt.

Damit sind wir beim Thema Steinzeit. Damals saßen alle im Dunkeln, kauten rohes Mammut und hatten Angst. Man traf sich nicht an der Flussgabelung auf einen Schluck schlechtgewordene Trauben oder so – wie hätte man sich das ausmachen sollen?

Irgendwann später wurde das Fortgehen erfunden. Man machte sich was aus, und dann gab man sich gemeinsam die Kante, oder zumindest den verstärkten Rand. Ich selbst habe einst einen Telefonanschluss bei der Österreichischen Post- und Telegraphenverwaltung beantragt, und schon knapp drei Jahre später ward mir der Bescheid, dieser könne nun hergestellt werden. Unnötig zu sagen, dass ich in der Zeit dazwischen meine Telefonate in der Telefonzelle erledigte. Praktischerweise wusste ich alle Telefonnummern meiner Freundinnen und Freunde auswendig, so wie heute mein Handy. Die Telefonzelle hatte allerdings den Nachteil, dass sie 100 Meter von meiner Wohnung entfernt lag, und anrufen konnte man dort, anders als in Hollywoodfilmen, nicht. Also, wenn ich mir etwas ausgemacht hatte, galt es dort auch aufzukreuzen. Ihr merkt schon, dass alles war kurz nach dem Krieg, so um 1992 herum.

Wie ihr wisst, wurde es dank cooler technischer Innovationen immer leichter, seine sozialen Kontakte am Brummen zu halten. Man konnte sich immer kurzfristiger was ausmachen (weil der Weg zur Telefonzelle entfiel). Freilich konnte man auch immer leichter absagen (wenn zum Beispiel das Sofa brannte). Mittlerweile, so mein altersbedingt kulturpessimistischer Eindruck, nähern wir uns dem Begegnungshorizont, jenem Punkt, wo man mit niemandem mehr auf ein Bier geht. Es ist einerseits so einfach geworden, jeden Eindruck instanter online mitzuteilen, dass die andern immer schon alles wissen, wenn man sich endlich mal sieht. Andererseits ist es ebenso einfach geworden, vereinbarte Treffen abzusagen (weil das Sofa brennt, weil was im Fernsehen ist, weil der Chat auf Facebook grade so spannend ist). So haben wir eine zwischenmenschliche Singularität geschaffen, an der die soziale Interaktion durch ihre völlige Verfügbarkeit abgelöst wird. Das ist wie mit Lachs, Schuhen oder Schokolade. Früher war Lachs rar, und jeder fand ihn toll. Es gab ihn ja auch nur zweimal im Jahr. Jetzt kriegt man Lachs an jeder Ecke nachgeschmissen, und die jungen Menschen entdecken ihre Liebe zum kale oder, wie man hieramts sagt, dem Kööch. Vier Paar Schuhe, die man abwechselnd trägt, halten so lange wie sieben Paar, die man nacheinander zuschanden tritt. Damals nach dem Krieg wären wir froh um ein Paar gewesen! Und wenn ich dir jeden Tag eine Tafel Schokolade kaufe, hast du nach zwei Wochen vierzehn Tafeln aufgefressen. Stelle ich dir aber ein ganzes Kilo hin, ist nach zwei Wochen noch die Hälfte übrig. So ist das.

Und jetzt ist es eben mit geselligen Alkoholmissbrauch so weit. Stell dir vor, du bist durstig, und keiner geht hin. Letzter Ausweg: Du findest noch eine Telefonzelle.

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