Es
ist ja die Frage, was man mit seinem Leben anfängt. Diesbezüglich, verehrte
Lesehäschen, kam mir neulich in der ZEIT
etwas Interessantes unter. Es ging um Hobbys und wie sie unser Leben
bereichern, und der ZEIT-Autor wusste
zu berichten, dass Arbeiter um die Jahrhundertwende auf die Frage „was machst
du?“ nicht mit ihrem Beruf antworteten („Ich bin Schweißer bei Borsig“),
sondern mit ihrem Hobby („Ich züchte Tauben“). Die Erklärung lief darauf
hinaus, dass die Arbeiter ihre Tätigkeit als derart fremdbestimmt erlebten,
dass es für sie nicht das war, was sie selbst machten.
Freilich
gibt es auch eine gegenläufige These für unsere Zeit: Nämlich, dass Bullshit-Jobs
(Anwalt, Immobilienmakler, Corporate-Merger-Experte) im Vergleich zu
unmittelbar relevanten Tätigkeiten (Volksschullehrer, Feuerwehrmann) deshalb so
fürstlich bezahlt werden, weil das Sinnvakuum der Betroffenen mit Geld
aufgefüllt werden muss. Wer seine Arbeit hingegen erfüllend findet, kann nicht
erwarten, davon auch noch gut leben zu können. In der Ecke stehen Regalbetreuer
oder Prospektausträger. Ihnen bleibt weder die Arroganz, mit der wir
Kreativlinge und Weltverbesserer von unserem Broterwerb erwarten, dass er unser
Selbstgefühl hebe, noch entsprechend Kohle.
Wie
auch immer: Hobbys haben es heute
schwer. Wenn man Zeit dafür hätte, verliert man sich stattdessen auf facebook und lässt sich davon
beeindrucken, was andere in ihrer Freizeit Hinreißendes geschaffen haben. Und
schon ist es Zeit fürs Bett. Deshalb hat euer ergebener Kolumnator seit Jahren
keinem Käfer mehr beim Schlüpfen zugeschaut. Aber irgendwann kriege ich das
auch wieder hin.
Selbstverständlich
ist dieses Schema steigerungsfähig. In derselben Ausgabe der ZEIT habe ich gelernt, was Snapchat ist. Für alle ähnlich Verschlafenen:
Snapchat ist ein soziales Medium, auf das man immer wieder mal zehnsekündige
Videoclips hochlädt. Wichtig: Nach 24 Stunden wird jeder Clip wieder gelöscht.
Deshalb gilt Snapchat als spontanes und mutiges Medium, anders als die bekannt
staatstragenden facebook und YouTube, wo die Leute erst nach langem
Sinnen ein Filmchen davon hochladen, wie sie ihrem besoffenen Freund Geschlechtsteile
ins Gesicht gemalt haben (mit Töchterchens Filzstift, nicht mit Edding, man
muss Mensch bleiben). Denn YouTube vergisst nicht, im Unterschied zu Snapchat.
Selbstverständlich
gibt es hauptberufliche Snapchatter (Snapper? Hab ich jetzt vergessen.), die
davon leben, andere daran teilhaben zu lassen, wie sie davon leben, diese daran
teilhaben zu lassen. Einen davon, Riccardo Simonetti, begleitete die ZEIT zu einem Event, für das ein
Fernsehsender verantwortlich zeichnete. Damit männiglich kund werde, wie geil
ein Event ist, wenn sich ein ausgeschlafener Sender so richtig ins Zeug legt,
handelte es sich, so die ZEIT, bei den geladenen Gästen dieser Red-Carpet-Sause zum allergrößten Teil
um Instagrammer und Snapper (Snapchatter? Hab ich
vergessen), die sich selbst und einander dabei dokumentierten, wie sie auf
einem geilen Event zugange waren, auf dem alle einander ebendabei
dokumentierten.
Mich
erinnert das an die barocken Schaugerichte: jene prunkvollen, statisch
ausgeklügelten und optisch wirkmächtigen Köstlichkeiten, die bei großen
Festmählern klarstellten, wo machttechnisch der Hammer hing. Nämlich dort, wo
die größten und delikatesten Genüsse warteten. Vergoldete Ochsenköpfe, ganze
Schwäne, Pasteten, aus denen beim Anschneiden die Hofzwerge hüpfen mussten – wo
solches serviert wurde, saß bestimmt kein Nebbich.
Allein,
diese Schaugerichte waren eben nur zum Schauen, nicht aber zum Verzehr geeignet,
Clickbait für die Augen, aber ohne Content für den Bauch.
So
entsteht uns eine herrliche Gegenwart, in der man sich nicht mehr der Mühe
unterwinden muss, tatsächlich etwas zu erleben. Stattdessen werden wir der
Erlebnisse anderer teilhaftig, die – und deshalb ist das kein Voyeurismus – nicht nur bloß dafür stattfinden, dass wir ihrer
teilhaftig werden. Im Idealfall geschieht dort auch gar nichts anderes mehr,
als dass unsere Teilhabe inszeniert wird.
Doch
eine Frage beschäftigt mich seit Tagen: Hätte man Riccardo Simonetti vor
hundert Jahren gefragt „was machst du?“, was hätte er
geantwortet?
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