Freitag, 26. Februar 2016

Faustrecht


Ich lese in letzter Zeit allerlei über Flüchtlinge, die sich – angeblich oder tatsächlich – sexistisch verhalten. Entsprechende Meldungen breiten sich, ob wahr oder nicht, schneller aus als iPhone-Gewinnspiele. „Raumgreifend und bedrohlich“ sei das, meint Frau Johanna Sigl, die in Marburg an einer politikwissenschaftlichen Dissertation über rechtsextreme Frauen (glaubich) schreibt. (Natürlich meint sie damit die rasche Verbreitung der Falschmeldungen.)

Sie führt weiter aus: „Das Bedrohliche, das in diesem Fall die Frauenverachtung ist, wird an den ‚fremden Mann’ delegiert. Das ist auch ein Schutzmechanismus, um sich nicht mit dem Sexismus in den eigenen Reihen auseinandersetzen zu müssen.“ Leider verstehe ich das nicht. Vor allem verstehe ich nicht, warum sexistische Inländer ihren eigenen Sexismus bedrohlich finden sollten, noch auch, warum der „fremde Mann“ in Anführungszeichen steht.

Da lese ich lieber den Artikel von AdamSoboczynski, der der Frage nachgegangen ist, warum die Lebensgefährten und Ehemänner der Frauen in der Kölner Silvesternacht nicht verteidigt und beschützt haben, sondern, in einem bekannt gewordenen Beispiel, ihrer Freundin die Hand gehalten haben. Er zitiert zwei russische Autorinnen, die – sicherlich zurecht – erklärten, ein solches Szenario sei in Russland undenkbar.

Das ist, so auch Soboczynski, kein Wunder. Wir heutigen Männer in Deutschland und Österreich haben vollstes Verständnis für den Konstruktcharakter von Geschlechterrollen. Und für ein soziales Konstrukt riskieren wir ungern eine aufs Maul.

So ist das Kölner Dilemma entstanden: Einerseits sind wir uns darüber einig, dass Frauen nicht begrapscht werden dürfen. Andererseits sind wir so reflektiert und vernünftig, dass wir hilflos sind, wenn es doch geschieht. Mich erinnert das an einen Witz, der angeblich im Ständestaat kursierte: Auf den Landeshauptmann zu schießen ist 3.000 Schilling und sechs Monaten Kerker bedroht, beim Kanzler sind es 10.000 Schilling und fünf Jahre Kerker, und auf den Herrn Bundespräsidenten zu schießen – das ist überhaupt verboten.

Was also tun? Wir haben Frauen, die sich außerstande sahen, sich gegen die Angreifer zur Wehr zu setzen, und Männer, die nicht wussten, wie sie im Rahmen ihrer reflektierten, Gender-maingestreamten Identität korrekt reagieren sollten. (Auch dazu eine Anekdote: Vor etlichen Monaten kam es zu einer Rempelei zwischen der Tochter eures ergebenen Kolumnators und einer Mitschülerin. Deren Vater meinte, die Kinder sollten Konflikte verbal regeln. Da ich die rhetorischen Fähigkeiten beider Prinzessinnen ungefähr kenne, habe ich seiner Kleinen dabei viel Glück gewünscht. Ob das die Sache für irgendwen besser macht?)

Denn das Problem besteht ja nicht nur darin, ob man sich als moderner westlicher Mann traut, wen zu hauen. Ebenso schwer wiegt die Frage, ob man das überhaupt darf, ohne sich der mühsam erworbenen, emanzipatorisch wertvollen Identität zu begeben bzw. ohne die Emanzipation der betroffenen Frau in Frage zu stellen, die dann doch wieder einen männlichen Beschützer gebraucht hat.

Wenig hilfreich ist leider auch der „DachverbandMännerarbeit Österreich“, der sich kürzlich gegründet hat. Ihm geht es vor allem um „Care-Aufgaben“, denen sich Männer verstärkt widmen können sollen. Leider rutschen da knackige Aussagen mit wie „Selbstwert statt Ego-Shooter“. Das trifft mich hart als eingefleischten Shooter-Zocker, der dennoch seit vielen Jahren redlich bemüht ist, seinen Teil an Care-Aufgaben zu versehen. Auch auf die Frage, ob es zu den Care-Aufgaben zählt, seine Geliebte vor unerwünschten Nachstellungen zu bewahren, bleibt der DMÖ leider die Antwort schuldig.

Doch ich muss gestehen: Im Grunde verstehe ich das Dilemma nicht so recht. Warum stellt sich in einer gedeihlichen Paarbeziehung überhaupt die Frage, wer wen beschützt oder auf sich selbst aufpassen kann? Wäre es nicht viel einfacher, die vom DMÖ angestrebte reale Arbeitsteilung nicht nur auf Betreuungsaufgaben und Broterwerb zu beschränken, sondern sich ganz fest vorzunehmen: Wenn wir gemeinsam unterwegs sind, und es kommt jemand, der einem von uns Böses will, dann hauen wir ihm (oder ihr!) mit vereinten Kräften aufs Maul? Ob’s klappt, weiß ich nicht, aber eines weiß ich: Ich bin dafür. 
Nachtrag: In dieStandard schreibt Nils Pickert heute: Statt also darauf zu hoffen, dass ein mit einer Gewaltvollmacht ausgestattetes männliches Geschlecht nur die Handlungsaufträge annimmt, die wir für richtig halten, sollten wir dazu kommen, gesamtgesellschaftlich aktiv zu werden und Verantwortung zu übernehmen. Damit niemand, wirklich niemand sich dadurch in seiner Geschlechtsidentität bestätigt fühlt, dass er Gewalt gegen andere einsetzt. 
Dem kann ich mich nur vollrohr anschließen. Allerdings mit dem Zusatz, dass gesamtgesellschaftliches Aktivwerden eher eine langfristige Strategie ist. Also, wenn du eine Hand an deinem Hintern spürst, ist es dafür bissi spät. Da hast du dann doch besser einen Plan B, ohne dass der unbedingt deine Geschlechtsidentität bestätigen muss. Statt also darauf zu hoffen, dass ein mit einer Gewaltvollmacht ausgestattetes männliches Geschlecht nur die Handlungsaufträge annimmt, die wir für richtig halten, sollten wir dazu kommen, gesamtgesellschaftlich aktiv zu werden und Verantwortung zu übernehmen. Damit niemand, wirklich niemand sich dadurch in seiner Geschlechtsidentität bestätigt fühlt, dass er Gewalt gegen andere einsetzt. - derstandard.at/2000031706763/Der-windelweiche-Mann

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