Freitag, 4. März 2016

Schmeckt aber gut

Verehrte Lesehäschen, es ist Zeit, mit einer Lüge aufzuräumen, die nur zu viele von uns nur zu lange gelebt haben. Diese Erkenntnis ward mir vorgestern zuteil, als ich Anlass hatte, mir über Labskaus Gedanken zu machen. Labskaus ist, für alle Südeier wie mich, eine norddeutsche bis britische Spezialität. Sie läuft auf einen rötlichen Gatsch hinaus, der durch ein optional draufzuklatschendes Spiegelei visuell kaum gewinnt. Ein bisschen wie Mousse au Frolic. Aber: Das Zeug schmeckt gut.
Womit wir beim Thema sind, nämlich bei der abzutötenden Lüge: Das Auge isst mit, heißt es, und das ist ist Unfug.
Wie sollte es auch. Es hat weder Geschmacksknospen noch Geruchsrezeptoren noch haptische Ausrüstung, die mit Essen was anfangen könnte. Das Auge schaut sich Sachen an, und nur zu oft lässt es sich davon aufs Kreuz legen. Und wir leider mit.
Eine Kindermilchschnitte beispielsweise schaut ja wirklich nicht z’wider aus, ist aber, seien wir ehrlich, nicht einmal den ersten Bissen wert, im Vergleich etwa zu „Double Chocolate Mud Cake“, der vage an ungeputzte Stiefel nach einem langen Herbstspaziergang erinnert, aber in diametralem Gegensatz zur Kindermilchschnitte nur optisch. Gerade hier in Österreich sollten wir uns von den angeblich hungrigen Augen nicht ins Bockshorn jagen lassen. Gulasch, Blunzeng’röstl, Hirn mit Ei – Designpreise gewinnen die alle nicht. Selbst ein Tafelspitz mit Erdäpfeln und Apfelkren läuft bestenfalls im Mittelfeld, wenn die Red Dot Awards vergeben werden. Und das, Häschen und Rammler, ist ganz normal und in Ordnung! Schauen wir nach Italien, dem gelobten Land des alltäglich guten Essens – Nudeln mit Sugo sehen köstlich aus, aber nur, weil wir eh wissen, wie gut das ist. Lasagne bittesehr: ein Schöpfgericht mit was Blubbrigem obendrauf.
Etwas anderes – kleiner Exkurs – ist es mit der Haptik. Bekanntlich geht alles, wenn es nur knusprig ist. Am anderen Ende der Skala kann es heikel werden. Ich erinnere mich an eine Spezialität, die ich in Taiwan „unbedingt kosten“ musste: das in Fachkreisen berüchtigte Austernomelett. Auch dieses schmeckt hervorragend, doch der Tastsinn isst sehr wohl mit, weil man den ja auch im Mund hat. Da wird es dann kritisch, wenn man nicht weiß, ob das Schlatzige (besser: Schlaatzige!) jetzt Ei oder Auster ist. Doch ich schweife ab.
„Das Auge isst aber doch mit“, röcheln da hinten welche.
Tut es nicht. Es möchte gern mitessen, weil das so köstlich aussieht. Diese kunstvoll errichtete Torte zum Beispiel. Das Sashimi, mit soviel Feingefühl arrangiert, dass es zum Essen eigentlich zu schade ist. Die perfekten Bratkartoffeln mit ihrer einladenden Kruste. Aber weißt du was, mein Häschen? Das Kunstvolle an der Torte, die Dekormasse (Fondant, wie wir Kenner sagen), ist zuckersüß und sonst nix. Das Sashimi würde nicht anders schmecken, ließe man es aus vier Fuß Höhe auf den Teller flattern. Und die Bratkartoffeln? Die waren eine Falle. Die sind aus Kunststoff.
Ich behaupte: So wie der Valentinstag in erster Linie der Floristikbranche frommt, so wird die Mär vom mitessenden Auge am liebsten von den Herstellern kleiner Spritzfläschchen perpetuiert, mit denen sich Balsamicoarabesken auf den Teller zaubern lassen. Ihr kennt das sicher: Mozzarella, Tomaten, und drumrum so ein dunkelbraunes Geschnörksel, das irgendwie nach Mehrwert im Service aussieht. Das Blöde ist: Balsamicoarabesken kann jede, selbst wenn sie nicht einmal weiß, wo beim Gemüsemesser die gefährliche Seite ist. Und die Arabesken sehen immer super aus, selbst wenn sie Fischstäbchen mit M8-Muttern drin umranken (hatte ich mal im Internat, nur ohne Balsamico). Deshalb, meine liebe flauschige Lesegemeinde: Schmecken wir erst einmal. 
Geschnörksel kann man beim nächsten Mal immer noch drumrum machen.


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