Verehrte
Lesehäschen, es ist Zeit, mit einer Lüge
aufzuräumen, die nur zu viele von uns nur zu lange gelebt haben. Diese
Erkenntnis ward mir vorgestern zuteil, als ich Anlass hatte, mir über Labskaus
Gedanken zu machen. Labskaus ist, für
alle Südeier wie mich, eine norddeutsche bis britische Spezialität. Sie läuft
auf einen rötlichen Gatsch hinaus, der durch ein optional draufzuklatschendes
Spiegelei visuell kaum gewinnt. Ein bisschen wie Mousse au Frolic. Aber: Das Zeug schmeckt gut.
Womit
wir beim Thema sind, nämlich bei der abzutötenden Lüge: Das Auge isst mit, heißt es, und das ist ist Unfug.
Wie
sollte es auch. Es hat weder Geschmacksknospen noch Geruchsrezeptoren noch
haptische Ausrüstung, die mit Essen was anfangen könnte. Das Auge schaut sich
Sachen an, und nur zu oft lässt es sich davon aufs Kreuz legen. Und wir leider
mit.
Eine
Kindermilchschnitte beispielsweise
schaut ja wirklich nicht z’wider aus, ist aber, seien wir ehrlich, nicht einmal
den ersten Bissen wert, im Vergleich etwa zu „Double Chocolate Mud Cake“,
der vage an ungeputzte Stiefel nach einem langen Herbstspaziergang erinnert,
aber in diametralem Gegensatz zur Kindermilchschnitte nur optisch. Gerade hier
in Österreich sollten wir uns von den angeblich hungrigen Augen nicht ins
Bockshorn jagen lassen. Gulasch, Blunzeng’röstl, Hirn mit Ei – Designpreise gewinnen die alle nicht. Selbst ein Tafelspitz mit Erdäpfeln und Apfelkren
läuft bestenfalls im Mittelfeld, wenn die Red
Dot Awards vergeben werden. Und das, Häschen und Rammler, ist ganz normal
und in Ordnung! Schauen wir nach Italien, dem gelobten Land des alltäglich
guten Essens – Nudeln mit Sugo sehen köstlich aus, aber nur, weil wir eh
wissen, wie gut das ist. Lasagne bittesehr: ein Schöpfgericht mit was
Blubbrigem obendrauf.
Etwas
anderes – kleiner Exkurs – ist es mit der Haptik. Bekanntlich geht alles, wenn
es nur knusprig ist. Am anderen Ende
der Skala kann es heikel werden. Ich erinnere mich an eine Spezialität, die ich
in Taiwan „unbedingt kosten“ musste: das in Fachkreisen berüchtigte Austernomelett. Auch dieses schmeckt
hervorragend, doch der Tastsinn isst sehr wohl mit, weil man den ja auch im
Mund hat. Da wird es dann kritisch, wenn man nicht weiß, ob das Schlatzige
(besser: Schlaatzige!) jetzt Ei oder Auster ist. Doch ich schweife ab.
„Das Auge isst aber doch mit“, röcheln da hinten welche.
Tut
es nicht. Es möchte gern mitessen, weil das so köstlich aussieht. Diese
kunstvoll errichtete Torte zum Beispiel. Das Sashimi, mit soviel Feingefühl
arrangiert, dass es zum Essen eigentlich zu schade ist. Die perfekten
Bratkartoffeln mit ihrer einladenden Kruste. Aber weißt du was, mein Häschen?
Das Kunstvolle an der Torte, die Dekormasse (Fondant, wie wir Kenner sagen), ist zuckersüß und sonst nix. Das
Sashimi würde nicht anders schmecken, ließe man es aus vier Fuß Höhe auf den
Teller flattern. Und die Bratkartoffeln? Die waren eine Falle. Die sind aus
Kunststoff.
Ich
behaupte: So wie der Valentinstag in
erster Linie der Floristikbranche frommt, so wird die Mär vom mitessenden Auge
am liebsten von den Herstellern kleiner Spritzfläschchen
perpetuiert, mit denen sich Balsamicoarabesken
auf den Teller zaubern lassen. Ihr kennt das sicher: Mozzarella, Tomaten, und
drumrum so ein dunkelbraunes Geschnörksel, das irgendwie nach Mehrwert im Service
aussieht. Das Blöde ist: Balsamicoarabesken kann jede, selbst wenn sie nicht
einmal weiß, wo beim Gemüsemesser die gefährliche Seite ist. Und die Arabesken
sehen immer super aus, selbst wenn sie Fischstäbchen mit M8-Muttern drin umranken
(hatte ich mal im Internat, nur ohne Balsamico). Deshalb, meine liebe
flauschige Lesegemeinde: Schmecken wir erst einmal.
Geschnörksel kann man beim nächsten
Mal immer noch drumrum machen.
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