Freitag, 25. März 2016

Er, sie und noch jemand


Wieder was gelernt, hochverehrte Lesehäschen von beeindruckendem Reflexionsgrad. Was habe ich denn gelernt? Dass es PGP gibt. PGP steht heute nicht mehr für eine Banalität wie Pretty Good Privacy, ein Verschlüsselungsprogramm, dessentwegen sich einst die ausgeschlafensten Geheimdienste der Welt am Kopf gekratzt haben, weil nicht mehr gesichert war, ob sie im Bedarfsfall mitlesen können, was du deinem Schatzi mailst.

Nein, heute steht PGP für etwas, das jed*r/n/e von uns ganz unmittelbar betrifft (sehr im Gegensatz zu strong crypto, mit der sich nur elfenbeinturmaffine NSA-Nerds und ihre Gegenspieler im noch tieferen Schatten abgeben, was keine Relevanz für unsere alltägliche Lebenswirklichkeit hat).

„Also jetzt endlich raus mit der Sprache“ tönt es unmutig von den billigen Plätzen. „Was ist jetzt mit PGP?“

PGP, eure Flauschigkeiten, steht für Preferred Gender Pronoun.

Damit hat es Folgendes auf sich: Ganz früher war es wichtig zu wissen, ob z. B. jemand Diabetiker war, oder in einer jahrzehntealten Fehde mit den Hubers vom Nachbardorf lag oder so. Dank diesem Wissen konnte man es vermeiden, den Betreffenden unverhofft zu vergiften oder sich eine Watschen einzufangen, weil man die Huber-Gabi eigentlich ziemlich okay fand.

Etwas später musste man wissen, wie jemand zur Atomkraft stand oder ob er Franz-Josef Strauß eigentlich ziemlich okay fand.

Noch später musste man den Überblick über akuten Vegetarismus behalten, low-carb-Phasen oder die Einstellung zu Facebook.

Und heute? Heute gilt es sich bei einer neuen Bekanntschaft als erstes zu vergewissern, welche Personalpronomina der/die Betreffende für sich am kuschligsten findet, mit anderen Worten: Welches ihr Preferred Gender Pronoun ist. Denn nur weil jemand in einem biologisch femininen Körper wandelt, lässt er nicht automatisch am liebsten per sie/ihr über sich reden (und umgekehrt, natürlich). Glücklicherweise existieren übersichtliche Merkblätter, wie z. B. die Central Connecticut State University ihrem Lehrpersonal eines an die Hand gibt. Darin erhält man den Rat, frischg’fangte Studierende zu Semesterbeginn zu fragen, wie sie heißen, woher sie kommen und was ihre bevorzugten Pronomina sind. Auch wenn die Betreffenden zum ersten Mal davon hören, ist dann der Zeitpunkt, sich zu entscheiden zwischen er, sie und, Trommelwirbel: ze/hir, dem neutralen, aber nicht sächlichen Pronomen, mit dem das Englische vervollständigt wurde.

Wer jetzt glaubt, dass wir im Deutschen uns da mit dem gesprochenen Schrägstrich oder dem hingehauchten Sternderl durchfretten müssen, xier irrt: Mit xier (er/sie), xieser (sein/ihr) und dier (der/die) sind wir bestens gerüstet, selbst in Relativsätzen niemandem mehr ein Gender aufzudrucken, das xiem nicht behagt – jawohl, xiem, denn natürlich hat xier auch eine Deklination: xier, xies, xiem, xien. (Es gibt noch andere Vorschläge für sogenannte Pronomina ohne Geschlecht, doch die fangen alle nicht mit x an und sind deshalb zum Vergessen.)

Ich muss sagen: So schräg die Geschichte auch auf den ersten Blick anmutet – von allem, was zum Thema Gendern so herumschwirrt, ist dies bestimmt einer der sympathischsten Beiträge. Hätten wir doch keine gröberen Sorgen!

Freilich bleibt für mich dieselbe Verkürzung, die alle solchen Bemühungen in meinen Augen etwas hatschert daherkommen lässt: Es gibt je ein grammatisches Genus für die beiden biologischen Geschlechter. Und die (laut Facebook) mehreren Dutzend Genders, die sollen sich alle unter einem einzigen neuerfundenen grammatischen Genus gemeint fühlen?

Schmerzhaft treuherzig mutet auch das erwähnte Merkblatt an, mit seiner Warnung: When someone is referred to with the wrong pronoun, it can make them feel disrespected, invalidated, dismissed, alienated, or dysphoric (or, often, all of the above). Immerhin habe ich dabei das Wort dysphoric gelernt, das meine Verfassung nach dem Lesen des Satzes ganz gut umreißt.

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