Freitag, 11. März 2016

Kalt - warm

Jetzt mal ohne Flachs, meine streichelweichen Lesehäschen: Früher war nicht alles besser. Gelegentlich stelle ich aber nicht ohne Wehmut fest, dass früher etwas anders war.
Zum Beispiel war das Wetter früher entweder so, dass man draußen sitzen konnte, oder eben nicht. Die Grenze musste natürlich jede für sich selber ziehen, was gelegentlich für Diskussionen sorgte, denn wo  die eine gerade mal anfängt, die frische Luft so richtig zu genießen, richtet sich die andere schon den Blasentee her.  Stets aber stand auf der einen Seite der  Gleichung das aktuelle Wetter, auf der anderen die persönliche Befindlichkeit. (Diese ist gewiss auch kulturell bedingt. So habe ich in Australien Menschen bei Temperaturen draußen sitzen sehen, wo man hierzulande damit rechnen würde, an der Talstation eine Steppdecke für die Bergfahrt im Sessellift ausgehändigt zu bekommen.)
Mittlerweile steht auch etwas in der Mitte der Gleichung: der Heizstrahler. Ich vermute, dass das eine richtig vertrottelte Idee ist. Aber der Reihe nach. Vor ein paar Tagen (also Anfang März) hatte ich nach längerer Pause mal wieder Gelegenheit, eine abendliche Runde durch die Wiener Innenstadt zu drehen.  Vor jeder zweiten Schluckhütte standen schon die Tische und Sitzgelegenheiten, und ihr könnt getrost wetten, dass hier kein Wirtschaftswunder-Schani „den Garten auße“ getragen hat, weil Zeugen übereinstimmend berichtet hatten, dass in Sievering tatsächlich schon der Flieder blühe. Tut er nicht, hat er nicht, hier wurde vielmehr beinhart kostennutzengerechnet. Denn jeder, wirklich jeder dieser sogenannten Schanigärten wird von ganzen Heizstrahlerbatterien auf Temperatur gebracht.
Herrschaften, so geht das nicht. Einst hat man uns voraddiert, wie viele Atomkraftwerke nur laufen, weil wir alle zu blöd sind, unsere diversen Elektrogeräte richtig auszuschalten anstatt nur auf Standby.
Sagen wir mal so: Wenn im 1. Bezirk während des kalendarischen Winters keiner draußen säße, könnten wir Bohunice gleich abdrehen.
Nicht zu vergessen, dass es ja von unten trotzdem herauffeuchtelt, sodass die Krankenkassen belastet werden. Bevor jetzt einer mit „Schneekanonen sind auch böse“ oder sowas kommt: Wir befinden uns  ungefähr auf dem 48. nördlichen Breitengrad. Dass hier Anfang März Schnee liegt, ist gewiss weniger außergewöhnlich, als dass man um dieselbe Zeit abends um 20 Uhr draußen sitzen kann. Entweder hat man die Eier (beziehungsweise, wenn ihr mich fragt: das gestörte Kälteempfinden), dass man trotzdem draußen sitzt, oder man setzt sich verdammt nochmal hinein.
Das Raucherargument zieht bei mir übrigens nicht. Wenn die Raucher drin nicht rauchen dürfen, heißt das noch lange nicht, dass wir für Komforttemperaturen in der ganzen Fußgängerzone zu sorgen haben. Es heißt vielmehr, dass die Damen und Herren Raucherinnen und Raucher sich ordentlich anzuziehen haben, so wie ich das  zu tun pflegte, als ich noch zu ihnen gehörte.
Aber dazu reicht es ja auch schon nicht. Ich sehe ständig Menschen, die bei leichtem Nieseln in Chucks durch den urbanen Spätwinter wackeln. Haben die kein Fenster, dass sie zuhause aufmachen können, bevor sie rausgehen, damit sie sich dann denken „ui, schon ziemlich harsche Wetterlage für eine Fußbekleidung, die ursprünglich fürs Hallenturnen in den Subtropen entworfen wurde, ich ziehe doch lieber richtige Schuhe an, bin doch nicht blöd“? Diese infantile Indifferenz gegenüber meteorologischen Fakten kannte ich bisher von Drei- bis- Sechsjährigen: „Ich will aber den Blümchenrock anziehen!“
Aber dass erwachsene Menschen ganz selbstverständlich erwarten, dass man ihnen die Welt schon anwärmen wird, weil sie halt unbedingt blablabla – so werden wir den Klimawandel garantiert nicht stoppen, Herrschaften.
Von ähnlich hohem Reflexionsgrad zeugt das Feedback der Woche:  
„Such den Fehler.“ – „Magst du uns nicht einfach sagen, wo noch ein Fehler ist?“ – „Nein.“

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