Freitag, 15. April 2016

Klare Verhältnisse


Heute, Vehrerteste und Teure, ist der Tag der Eindeutigkeit.   Den führe ich hiermit ein, damit sich jede einmal eine sprachliche Freude machen kann. Das heutige Datum ist so gut wie frei – wir kommen damit weder dem „Tag der Kosmonauten“ in die Quere noch dem Weltzugvogeltag, dem Tag des Fahrrads, der Huren oder dem Home Movie Day. Zwar begeht Nordkorea heute seinen Nationalfeiertag, aber ich denke, da ist noch Platz für einen weiteren freudigen Anlass.
Also: Tag der Eindeutigkeit. Das sind gleich zwei Geschenke auf einmal, also zwei Drittel vom guten alten Überraschungsei, das in scharfem Kontrast zum weniger tollen aktuellen Überraschungsei steht, weil nach derzeitiger Ferrero-Firmenpolitik Bausätze für Spielzeug, das man dann jahrelang vom CD-Regal in die Schreibtischlade und zurück übersiedelt (ja, ich habe noch ein CD-Regal!), aus höchstens drei Teilen bestehen dürfen, und das wird schnell fad.
Nun denn. Inspiriert, soviel Zeit muss noch sein, ist der Tag der Eindeutigkeit von der österreichischen Version der Grand Old Party. Denn es war ganz eindeutig vorbestimmt, dass Frau Mikl-Leitner und Herr Sobotka die Plätze tauschten, ob vom Schicksal oder vom Onkel, das spielt keine Rolle. Abzuwarten bleibt freilich, ob ihre Bestimmung sich für die beiden so erfüllen wird wie für zwei gewesene Aschenputtel,  die jetzt einer Zukunft voller Glitzer und Einhornstreicheln entgegensehen, oder eher so wie für Gollum, für den es leider eindeutig unausweichlich war, versehentlich in die Feuerklüfte des Schicksalsberges zu stürzen, damit der Ringträger seinerseits der schicksalhaften Fügung Genüge tun konnte.
Jetzt aber zur Eindeutigkeit. Es gibt ja Wörter, die sich nicht recht entscheiden können, was sie heißen wollen. Das ist, wenn ihr mich fragt, unproblematisch etwa bei „Bank“ oder „streichen“. Sitzgelegenheit oder Geldsammelanstalt, mit Farbe bedecken oder aus dem Umfeld kicken – diese Dinge sind so weit voneinander entfernt, dass sie einander nicht ins Gehege kommen.
Aber da draußen auf der endlosen semantischen Prärie, wo ungezähmte Adverbien sich nur selten finden, weshalb man so selten kleine Adverbien sieht – dort flattern, kreuchen oder galoppieren Partikel oder gar urtümliche Substantive herum, die gern sie selber wären und außerdem so etwas Ähnliches. Das kann unangenehmes Jucken hervorrufen.
Mein solches Wort ist „dereinst“. „Dereinst“, das bestätigt zu meinem Leidwesen auch das Deutsche Wörterbuch, weist sowohl in die Vergangenheit als auch in die Zukunft: „Dereinst war es ganz normal, sich für eine Besprechung einen Besprechungsraum zu suchen.“, wie auch „Dereinst wird es gar keine Besprechungen mehr geben, weil alle vom ständigen Besprechen am Arbeitsplatz ertaubt sind.“
Ich finde, das ist zu viel. Damit kommt der Tag der Eindeutigkeit ins Spiel. Denn der ist nicht nur so ein Nullachtfünfzehn-Tag – aha, heute also Aktionstag „Rettet die Kastanien“ (zweiter Samstag im November, gleich rot anstreichen!), immerhin ham’s Glück mit dem Wetter. Schaun wir mal, was neues in der Tagespresse steht.
Nein, am Tag der Eindeutigkeit kann jede von euch so richtig was bewirken. An diesem Tag darf jede entscheiden, welche Bedeutung ein zweideutiges Wort ab jetzt eindeutig hat. Deshalb bitte gleich einmal merken: „Dereinst“ weist ab sofort nur mehr in die Zukunft. Für die Vergangenheit gibt es ja genügend Auswahl, wie zum Beispiel „ganz früher“, „vor langer Zeit“, „damals“ oder auch „einst“, das übrigens gerne weiterhin auch Zukünftiges herbeiwinken darf, da stört es mich seltsamerweise gar nicht.
Falls ihr auch ein Wort am Scheideweg habt, dann bitte sehr: Heute ist eure Gelegenheit, es auf die richtige Seite zu stupsen.
 Einen Stups könnte auch ZEIT-Autor Moritz Baumstieger vertragen. Er berichtet, wie er einmal in Tel Aviv ins karnevalistische Purimstreiben geraten ist und begeistert war. Also schnell zurück ins Quartier (vermutlich AirBnB) und unter den Sachen des Vermieterpaares nach geeigneter Verkleidung gesucht. „Bis die beiden am nächsten Morgen zurückkommen würden, würde ich schon alles wieder verstaut haben.“
Abgesehen von der etwas ungraziösen Fülle an Würde: Sagen Sie mal, Herr Baumstieger, geht’s noch? Wenn einem schon das Minimum an Gespür fehlt, das die meisten von uns davon abhält, aus einer Laune heraus die privaten Besitztümer von Wildfremden zu durchwühlen, sagt einem dann nicht wenigstens ein dumpfes Ziehen in den vom Dauergrinsen müden Mundwinkeln, dass man den eigenen Verstoß gegen die guten Sitten nicht auch noch als, hach!, Anekdote in Deutschlands gebildetstem Wochenblatt ausbreiten sollte?
Anscheinend nicht. Wir brauchen auch noch einen Tag des halbwegs ordentlichen Benehmens. Den gibt es nämlich bisher nicht.

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