Freitag, 22. April 2016

Willkommenskultur


„Böse Menschen haben keine Lieder“, heißt es, und das, teure Lesehäschen, wirft ein strahlendes Licht auf euren Kolumnator. Denn ich selber singe zwar eher nur duschentauglich. Aber auf unserem Balkon hat sich vor einer Weile ein Amselpaar zwecks Fortpflanzung niedergelassen, und die Amsel bzw. der Ämslerich gelten ja mit Recht als Topkräfte im Singsegment. Dass Ernst Jandl gerade diese Art als „wahren vogel“ erkoren hat, sei nur nebenbei bemerkt, zumal es nicht jedermanns Sache ist, dem Tier mit einer „schere zart und fein“ die Beine zu amputieren.

Also, Amseln sind echte Superviecher, will ich damit sagen. Sie sind von weitem hoch sympathisch, wenn sie auf dem Ast sitzen und zwitschern. Die Amsel besticht durch Possierlichkeit, wenn sie einen Regenwurm aus der Erde zu ziehen sich müht und dabei den Hals lang, länger und noch lääänger streckt – ein Dehnbarkeitswettstreit auf Leben und Tod: Gehen die Halswirbel auf Anschlag, ehe der Wurm den Halt verliert, oder umgekehrt?

Auch aus der Nähe ist eine Amselmutter sooo lieb. Sie sitzt im Nest, schaut dich mit blanken Augen an und rührt keine Feder. Du denkst dir, das ist jetzt schon sehr nah, aber sie rührt sich immer noch nicht. Auch wenn du dich schon ganz klar innerhalb des Radius befindest, wo eine Amsel ohne Nachwuchsmotivation das Weite suchen würde: Die bleibt sitzen wie festgefroren. Und schaut.

Trotzdem entdeckt man als ungefragter Quartierwirt eines solchen Brutpaares bald dunkle Seiten an sich selbst. Ich sage nur: Kot, und das ist noch höflich formuliert. Die deutliche Formulierung lautet: Wenn der Balkon erst vollgeschissen ist, fangen sogar in der Wolle gefärbte linksliberale Intellektuelle an der Willkommenskultur zu zweifeln an. Und schon ist es passiert: Hat man es sich einmal geschehen lassen, die Vogelscheiße nicht gut zu finden, rutscht man mit steigendem Tempo ins Lager der Amsel-Pegidisten.

Immerhin hat sich das Paar ungefragt und praktisch illegal auf unserem Balkon – ja, wortwörtlich: eingenistet, wenn auch nicht ins gemachte Nest gesetzt. In einer Nacht- und Nebel-Aktion sind die beiden über die Grüne Grenze gekommen, womöglich hat ein Schlepper, der sich natürlich im Hintergrund gehalten hat, da einige fette Würmer eingestrichen. Und als sie da waren, zack, sofort Asyl im Blumenkisterl beantragt.

Und dann natürlich gleich Kinder in die Welt gesetzt. Sind die jetzt automatisch Balkonbürger?

Gesichert ist: Die Familie hat sich perfekt unterm Efeu integriert, im Rahmen ihrer Möglichkeiten. Die Eltern sind auffällig fleißig, was freilich für die autochthone Balkonbevölkerung auch einen gewissen Konkurrenzdruck bedeutet. Nehmen uns die unsere Jobs weg? Und es fällt auf, dass weder die Alt- noch die auf meinem Balkon aufgezogenen Jungvögel auch nur ein Wort Balkonisch sprechen, obgleich verblendete Gutmenschen gerade der Amsel große Sprachbegabung nachsagen bzw. andichten. Das Fazit muss leider lauten: Ich habe den Kampf gegen meinen inneren Identitären verloren und muss mich hiermit von der Scheißliberalität verabschieden, auf dass mein Balkon wieder scheißfrei werde. 

Wo ist die Alle-Vöglein-Türkei, mit der ich ein merkelwürdiges Abkommen schließen kann, auf dass keine Amselflut über meinen Frischluftausleger hereinbricht? Wo der Böhmermann, der den Vögeln unter der Gürtellinie auf die Eier geht?

So fühlte ich mich vor zehn Tagen.

Mittlerweile haben aber die Amseln die zweite Brutrunde eingeläutet, und es hat Slavoj Žižek uns erklärt, dass es weder zielführend ist, das Fremde (also die Amsel) abzulehnen, weil fremd, noch, das Vertraute im Fremden zu suchen und umarmen zu wollen (was die Amsel sich ohnehin nicht gefallen ließe). Vielmehr gilt es uns selbst fremd zu werden, sodass wir alle einander fremd sind und quasi von Null weg zu einem zukunftsträchtigen Umgang mit dem Fremden finden können. In diesem Sinne habe ich meinen mir fremden inneren Identitären von fehlgeleiteter Gewalt abgehalten, ihn aber das Blumenkisterl von der Innen- an die Außenseite des Balkons hängen lassen, in der Hoffnung, dass damit alles besser wird. Danke, Slavoj.

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