„Böse
Menschen haben keine Lieder“, heißt es, und das, teure
Lesehäschen, wirft ein strahlendes Licht auf euren Kolumnator. Denn ich selber
singe zwar eher nur duschentauglich. Aber auf unserem Balkon hat sich vor einer
Weile ein Amselpaar zwecks
Fortpflanzung niedergelassen, und die Amsel bzw. der Ämslerich gelten ja mit
Recht als Topkräfte im Singsegment. Dass Ernst
Jandl gerade diese Art als „wahren
vogel“ erkoren hat, sei nur nebenbei bemerkt, zumal es nicht jedermanns
Sache ist, dem Tier mit einer „schere
zart und fein“ die Beine zu amputieren.
Also,
Amseln sind echte Superviecher, will ich damit sagen. Sie sind von weitem hoch
sympathisch, wenn sie auf dem Ast sitzen und zwitschern. Die Amsel besticht durch
Possierlichkeit, wenn sie einen Regenwurm aus der Erde zu ziehen sich müht und
dabei den Hals lang, länger und noch lääänger streckt – ein Dehnbarkeitswettstreit auf Leben und Tod:
Gehen die Halswirbel auf Anschlag, ehe der Wurm den Halt verliert, oder
umgekehrt?
Auch
aus der Nähe ist eine Amselmutter sooo lieb. Sie sitzt im Nest, schaut dich mit
blanken Augen an und rührt keine Feder. Du denkst dir, das ist jetzt schon sehr
nah, aber sie rührt sich immer noch nicht. Auch wenn du dich schon ganz klar
innerhalb des Radius befindest, wo eine Amsel ohne Nachwuchsmotivation das
Weite suchen würde: Die bleibt sitzen wie festgefroren. Und schaut.
Trotzdem
entdeckt man als ungefragter Quartierwirt eines solchen Brutpaares bald dunkle
Seiten an sich selbst. Ich sage nur: Kot,
und das ist noch höflich formuliert. Die deutliche Formulierung lautet: Wenn
der Balkon erst vollgeschissen ist, fangen sogar in der Wolle gefärbte
linksliberale Intellektuelle an der Willkommenskultur zu zweifeln an. Und schon
ist es passiert: Hat man es sich einmal geschehen lassen, die Vogelscheiße
nicht gut zu finden, rutscht man mit steigendem Tempo ins Lager der Amsel-Pegidisten.
Immerhin
hat sich das Paar ungefragt und praktisch illegal auf unserem Balkon – ja,
wortwörtlich: eingenistet, wenn auch nicht ins gemachte Nest gesetzt. In einer
Nacht- und Nebel-Aktion sind die beiden über die Grüne Grenze gekommen,
womöglich hat ein Schlepper, der sich natürlich im Hintergrund gehalten hat, da
einige fette Würmer eingestrichen. Und als sie da waren, zack, sofort Asyl im Blumenkisterl beantragt.
Und
dann natürlich gleich Kinder in die Welt gesetzt. Sind die jetzt automatisch
Balkonbürger?
Gesichert
ist: Die Familie hat sich perfekt unterm Efeu integriert, im Rahmen ihrer Möglichkeiten. Die Eltern sind
auffällig fleißig, was freilich für die autochthone Balkonbevölkerung auch
einen gewissen Konkurrenzdruck bedeutet. Nehmen uns die unsere Jobs weg? Und es
fällt auf, dass weder die Alt- noch die auf meinem Balkon aufgezogenen
Jungvögel auch nur ein Wort Balkonisch
sprechen, obgleich verblendete Gutmenschen gerade der Amsel große
Sprachbegabung nachsagen bzw. andichten. Das Fazit muss leider lauten: Ich habe
den Kampf gegen meinen inneren Identitären
verloren und muss mich hiermit von der Scheißliberalität verabschieden, auf
dass mein Balkon wieder scheißfrei werde.
Wo
ist die Alle-Vöglein-Türkei, mit der ich ein merkelwürdiges Abkommen schließen
kann, auf dass keine Amselflut über meinen Frischluftausleger hereinbricht? Wo
der Böhmermann, der den Vögeln unter
der Gürtellinie auf die Eier geht?
So
fühlte ich mich vor zehn Tagen.
Mittlerweile
haben aber die Amseln die zweite Brutrunde
eingeläutet, und es hat Slavoj Žižek uns erklärt, dass es weder zielführend ist, das Fremde (also die Amsel)
abzulehnen, weil fremd, noch, das Vertraute im Fremden zu suchen und umarmen zu
wollen (was die Amsel sich ohnehin nicht gefallen ließe). Vielmehr gilt es
uns selbst fremd zu werden, sodass wir alle einander fremd sind und quasi
von Null weg zu einem zukunftsträchtigen Umgang mit dem Fremden finden können.
In diesem Sinne habe ich meinen mir fremden inneren Identitären von fehlgeleiteter Gewalt
abgehalten, ihn aber das Blumenkisterl von der Innen- an die Außenseite des Balkons
hängen lassen, in der Hoffnung, dass damit alles besser wird. Danke, Slavoj.
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