Lesehäschen,
-rammler und selbstverständlich mitgemeinte Häschengenders, wieder einmal zeigt sich, dass das Leben der
Grammatik hinterherhechelt. Denn mit einer ordentlichen Consecutio temporum und einer Beherrschung des Unterschieds
zwischen Indikativ und Konjunktiv hätten wir weniger moralischen
Stress mit Maßnahmen zur Problemlösung.
Hä?
Geduld,
meine Lieben. Es geht um die Frage, wo bzw. wann genau man ansetzen soll, um einem Missstand (ja, das schreibt man jetzt leider so. Für alle
Ästhetiker: Mißstand. Gern geschehen.) abzuhelfen. Die Kommentatorinnen und
Kommentatoren, deren Meinung man vorzugsweise auf Facebook teilhaftig wird, wissen:
Wir müssen bei den Ursachen
ansetzen.
Und schon ist das Unglück geschehen, ob es
um die Flüchtlingskrise geht, um Leseschwäche bei Volksschulabgängern, um
mangelnde Akzeptanz der arbeitsrechtlichen Wahlmöglichkeiten für Väter, um
sexistische Übergriffe oder um Terroranschläge.
Denn natürlich ist es ein Blödsinn, dass wir, wenn wir akut mit
einer Problematik zu kämpfen haben, jetzt bei den Ursachen ansetzen müssen. Wir
HÄTTEN
bei den Ursachen ansetzen müssen, vorige Woche oder letztes Jahr oder vor zehn
Jahren. JETZT müssen wir leider erst einmal die Symptome angehen. Ich
befand mich einmal in einem Haus, das sich anschickte, vom Hochwasser durchfeuchtet
zu werden. Die Ursache war vielleicht die Klimaerwärmung, vielleicht
ungeeignete oder mangelnde Verbauungsmaßnahmen, oder gar ein Flügelschlag, der
einem Schmetterling in Feuerland zur Unzeit ausgekommen war. Bis deren
Bekämpfung in die Gänge gekommen wäre, hätten sich im Keller schon die Forellen
Grüß Gott gesagt. Ähnlich ist es mit sexuellen
Übergriffen: Wie kürzlich geschrieben, gehören deren Ursachen auf jeden Fall
bekämpft. Aber wenn du eine Hand am Hintern spürst, solltest du außerdem einen
Plan B für jetzt gleich haben (also das geeignete Äquivalent zu ein, zwei
Wasserpumpen, um die dreckige Plörre wieder ins Freie befördern).
Doch wir reflektierten, liberalen, sozial
verständnisvollen Abendländer haben uns eine Grammatikschwäche wachsen lassen, dank derer wir weder einsehen,
was wir gestern hätten tun sollen noch, was wir jetzt tun müssten. Wir wissen
dafür immer ganz genau, was wir morgen,
ja morgen tun werden: das Übel an der Wurzel packen! Aber bestimmt!
Beziehungsweise werden wir es packen
lassen, oder auch nicht. Nach den Anschlägen in Brüssel legte man von der eigenen staatsbürgerlichen Wachheit
Zeugnis ab, wenn man anprangerte, dass die Staaten nun die Gelegenheit nutzen,
sich weitere Überwachungsbefugnisse zu sichern, wo sie doch besser daran täten
– na was? Genau: die Ursachen des Terrorismus zu bekämpfen. Nun bin ich sicher
der letzte, der einer ins Kraut schießenden Überwachungsstaatlichkeit das Wort
reden wollte. Ich erlaube mir aber die Frage: Was wir Besonnenen denn jetzt und
hier von den Staaten erwarten, die wir uns ja auch leisten, um Terroranschläge
hintanzuhalten? Und ich schicke gleich eine haltlose Behauptung nach: Wer dem Staat dessen mangelnde
Beschäftigung mit den Ursachen vorhält, der weiß wohl genauer, dass er der
Obrigkeit keine weiteren Überwachungsmöglichkeiten zubilligt, als, wie die
Bekämpfung des Übels an der Wurzel auszusehen habe.
Deshalb ein Vorschlag zur Güte: Einigen wir uns darauf, dass Erste Hilfe und die Reform des Gesundheitswesens zwei verschiedene Projekte sind und
dass der soeben Verunfallte von ersterer mehr profitiert als von letzterer,
selbst wenn wir einen Malus dafür veranschlagen, dass die Anschauungen darüber,
was eine geeignete ersthelferliche Maßnahme ist, sich mit der Zeit ändern.
Man reicht heute kein Riechsalz mehr, aber
das beweist weniger gegen das Riechsalz als gegen das Korsett. Freilich HÄTTE
man sich einst eher vom Korsett verabschieden sollen. Die Geschichte zeigt
aber, dass das leider eine Weile gedauert und bis dahin die eine oder andere
Besinnungslose immerhin vom Riechsalz profitiert hat.
Davon, dass mein Ansinnen unreflektierter,
wenn nicht sogar populistischer Aktionismus ist, bin ich leicht zu überzeugen: Der
nächste Besonnene, der vom Brandgeruch aufwacht, rufe nicht die Feuerwehr,
sondern reiche eine Petition zur Bauordnung ein. Wenn er in seine leergeräumte
Wohnung heimkehrt, spende er flächendeckend an gemeinnützige Organisationen, um
der Kriminalität ihren Nährboden zu entziehen, anstatt sich an die Polizei zu
wenden.
Bis das geschieht, üben wir alle noch
einmal den Konjunktiv II: Ich hätte früher anfangen sollen, mir
einen Bart wachsen zu lassen. Dann stünde mir jetzt eine Hecke im
Gesicht, und ich könnte mit den anderen Hipstern Filzpappenpoker darum spielen,
wer im Standard-Forum als nächstes
die Bekämpfung der Ursachen wovon auch immer einfordern darf.
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