Freitag, 20. Mai 2016

Nach dem Vornamen ist vor dem Nachnamen

Bald, beste Lesehäschen, ist es so weit. Dann ist der Hofer-Bertl unser neuer Häschenpräsident. Vielleicht auch der andere, aber das würde mich überraschen, bei aller Liebe. Aber wie hat der andere in der Schule geheißen?
Beim Hofer Norbert ist die Antwort einfach: genau so. Aber van der Bellen Alexander?
Womit wir bei der Frage der Woche sind: Wie ist das mit Vorname und Nachname, beziehungsweise: Warum stellt man in bestimmten Gegenden oder Altersklassen den Nach- vor den Vornamen?
Diese Frage drang aus der Lesehäschenschaft zu mir, und weil ich ein lieber Kolumnator zu sein trachte, voller Verständnis für eure Anliegen und Wünsche habe ich sofort das Internet für euch befragt, wie das denn nun sei mit den Vor- und Nachnamen und deren Reihenfolge,
Alsbald musste ich feststellen, dass die alte Weisheit, dort nach Antworten zu suchen, entspreche dem Versuch, von einem Feuerwehrschlauch zu trinken (man wird nass und bleibt durstig), stellenweise durchaus noch zutrifft.  Ich habe neulich eine ganze Menge über Benamsungstraditionen rund um den Erdball gewusst, vom russischen Patronym (Pjotr Alexejewitsch, Sohn eines Alex, wird gern so angesprochen, während sein Nachname Kutusow nur in formellen Angelegenheiten Verwendung findet) über das isländische Nachnamen-Ringelreihen, die angenehm übersichtliche japanische Regel, den Familiennamen stets voranzustellen und den spanischen Pallawatsch (jeder hat zwei Nachnamen, Kinder kriegen den ersten jedes Elternteils) bis zu seinem portugiesischen Gegenstück (genauso, nur dass Kinder jeweils den zweiten Namen kriegen) .
Glücklicherweise habe ich den größten Teil davon umgehend wieder vergessen, bis auf die sympathisch-symmetrische kongolesische Sitte, den Familiennamen mittig zu tragen. Vorn steht der meist christliche Vorname, hinten der traditionelle kongolesische Nachname, so wie bei Joseph-Désiré Mobutu Sese Seko, also praktisch ein Max Huber Franz.
Aber das hilft uns alles nicht weiter. Warum wir in der Schule der Schwandl Georg oder die Hochreiter Gabi waren, ist ja einzusehen: In jenem Alter hat man genug zu tun mit Hinterm-Fahrradstall-Rauchen, Pickelpflege, Sportsocken und Hoffentlich-komm-ich-nicht-in-Physik-dran. Den eigenen Namen nimmt man so, wie er kommt – nämlich auf der Klassenliste. Da stellt man nicht mehr groß um, schon gar nicht bei den andern.
Und warum wird Werner Faymann zum Faymann Werner, wenn er die Stadtgrenze weit genug hinter sich lässt, wozu er ja nun reichlich Zeit hat? Ich vermute, das liegt an der stattfindenden Umstellung (so etwas dauert!) von der ländlichen zur verhüttelten Gesellschaft. Denn früher, als jedes Häschen in seinem Elternbau aufwuchs und mindestens ein Häschenkind den Elternbau vergrößerte, um seinerseits darin die Lesehäschenbevölkerung zu erhalten – früher also hatte jede zwar einen Familiennamen. Der war aber nicht so wichtig, weil weniger eindeutig als der Hofname. Am Hofnamen waren Emma Moosmann und Emma Moosmann klar zu unterscheiden, denn die eine war Becklars Emma, die andere Bröselars Emma (Namen von der Redaktion geändert). Dieses System war, wie jedes System seit Anbeginn der Zeit, super, bis die Fremden gekommen sind. (Das p.t. p.c. Publikum darf sich den Schaum wieder vom Mund wischen. Wo ich herkomme, nannte man in weniger korrekten Zeiten auch die zahlenden Touristen „Fremde“, und meine Großmutter hatte keine Gästezimmer, sondern, na? Fremdenzimmer.)
Doch seit langem ist das nicht mehr so. Etwas ändert sich. Globalisierung wäre hier zu hoch gegriffen. Regionalisierung? Überregionalisierung? Jedenfalls fand ein Zuzug statt, wodurch Menschen ohne Hausnamen in Gegenden gelangten, wo man einen solchen zu haben hat. Dies, so meine Theorie, stürzte die autochthone Bevölkerung in ein tiefes Dilemma. Einerseits brauchten die neuen Nachbarn einen Hausnamen, damit man sie korrekt identifizieren konnte. Andererseits kann man einen Hausnamen auch nicht einfach erfinden. Der muss dem Betreffenden zuwachsen wie eine charakteristische Warze mit drei Glückshaaren drin. Was also tun? Die Alteingesessenen behalfen sich, so gut sie es eben vermochten: Sie stellten den Familiennamen voran, auf dass wenigstens irgendwas vor dem Vornamen stehe. Keine perfekte Lösung, das gebe ich ja zu. Aber leider haben die Leute hierzulande keine vorchristlichen Namen in petto, sodass man das kongolesische System einführen hätte können. Ob der Hofer-Bertl im Sinne der Integration der eh schon Einheimischen darüber traurig ist oder froh, das wage ich nicht zu sagen.

Freitag, 13. Mai 2016

In der Satzkurve

Bundeskanzler kommen und irgendwann gehen sie auch wieder. Da muss man manchmal einfach Geduld haben.  An dem jetzigen stimmt mich misstrauisch, dass er in seinem Job als ÖBB-Chef nicht wirklich sensationell bezahlt war. Ich meine, was für ein Topmanager bin ich, wenn der Post-Vorstandschef dreieinhalbmal so viel verdient wie ich?
Wie auch immer: So wie die Politik derzeit beschaffen ist, reiße ich mir lieber eine sprachliche Frage her. Falls wir die Antwort finden, ist sie wahrscheinlich auch haltbarer als die Umfrageergebnisse von Norbert Hofer. Mich beschäftigt, warum ich über Formulierungen wie diese stolpere: „Seine Umgangsformen seien veraltet, selbiges gelte für Weltanschauung und Stecktuchstil.“
Mein Stolperstein ist selbiges. Gegen selbiges habe ich prinzipiell natürlich nichts. „Mindestens ebenso brisant wie die Ansichten des Kandidaten ist das Interesse seiner Wähler an selbigen“, oder auch „Selbiger [der Parteivorstand] leckt sich noch seine Wunden“ – da sitzt alles fugenlos.
Der Unterschied ist klar: Im ersten Fall springt selbiges für dasselbe ein, im zweiten und dritten hingegen hat es hinweisende Funktion. Hier könnte auch diese oder jener stehen.
Doch das wirft nur eine neue Frage auf. Selbiges ist doch dasselbe wie dasselbe, oder? Warum sollte also im ersten Beispiel nicht selbiges stehen?
Wo man sich in solchen Fällen schlau macht, wissen wir ja: im Grimmschen Deutschen Wörterbuch. Es lehrt uns, dass selbiges ein ziemlich bewährtes und gut abgehangenes Wort ist, mit Belegstellen seit den Kinderjahren des Neuhochdeutschen. Allerdings hat es meistens nicht allein gechillt, sondern mit seinem Kumpel bestimmter Artikel, also: der-, die-, dasselbige.
Im 17. Jahrhundert ist die Freundschaft zwischen den beiden dann ein bisschen gewohnheitsmäßig geworden, seither findet man selbiges auch allein, d.h. ohne Artikel. Allerdings steht es in den Belegstellen der Grimms immer mit dem referenzierten Substantiv: selbigen Abend, unter selbigem Grab, in selbiger Nacht. In die Umgebung dieser Formulierung gehört wohl auch das schöne Lokaladverb daselbst. Auch als Demonstrativpronomen in der Bedeutung dieses oder jenes kennen die Brüder selbiges, bemerken aber: „diese ausdrucksweise, im 17.-18. Jahrh. nicht selten, ist heute in mustergiltiger, dialectfreier schriftsprache ganz abgekommen und findet sich nur noch in absichtlich archaisierender oder volksthümelnder sprechweise.“ Die Diagnose stammt, wohlgemerkt, aus der Mitte des 19. Jahrhunderts, woran man sieht, dass auch Wörterbuchtitanen sich täuschen können, hat doch das demonstrative selbige im Journalismus der gehobenen Mittelklasse auch heute noch seine Fans.(Und ja, die Brüder Grimm schreiben klein.)
Was lernen wir daraus? Das Deutsche Wörterbuch kennt die Fälle 2 und 3, nicht aber den ersten. Die Ursache meines Stolperns gewinnt damit ebenfalls Konturen: Wenn selbiges die Identität bedeuten soll, hat es damit für mein Gefühl schon genug zu tun. Um außerdem den Bezug zu einem Wort in einem anderen Satz oder Nebensatz herzustellen, hätte es gern Verstärkung von der, die, das. Das ist wie Lenken und Bremsen gleichzeitig: Da kann es dich leicht aus der Kurve hauen, und als Erkenntnisgewinn bleibt dir nur noch, was Walter Röhrl erklärt hat: Wenn du den Baum nur hörst, war es Übersteuern. Wenn du ihn vorher siehst, war es Untersteuern.
So auch im Satzbau. Es mag schon sein, dass es im Sinne der gängigen Regelwerke zulässig ist, selbiges der Doppelbelastung von Verweis und Identitätsbedeutung auszusetzen. Gönnen wir ihm aber trotzdem die Unterstützung des Artikels. Auch Wörter haben manchmal mehr als genug zu tun.