Freitag, 25. November 2016

Messerstecherei


Man fragt sich manchmal, warum die sogenannten Besonnenen, Linken, Wählbaren den Rechten argumentativ nicht gewachsen sind. Woran liegt es, dass nach drei Viertel der Diskussionen der Blaue drei Bier bestellt, zwecks Siegesfeier?

Glücklicherweise war vor einem Weilchen Halloween, mithin Gelegenheit, Menschen in Filmklassikern dabei zuzuschauen, wie sie ins Verderben laufen.

Wir sollten uns aufteilen, um das Gemäuer zu erkunden.

Ich geh mal in diese dunkle Höhle und bin gleich wieder da.

Ich drehe mich sicher nicht um, obwohl in der letzten Dreiviertelstunde schon drei von meinen besten Kumpels von hinten gemeuchelt worden sind.

So läuft das, und es hält den Horror auf Schiene.

Dabei ist mir klargeworden: Wir sind doof. Genauso doof wie die baldigen Opfer in den Slasher-Klassikern. Die Linken servieren den Rechten die Argumente gegen sich selbst auf dem Silbertablett. Ob man jetzt den dummgeilen Jugendlichen in Freitag der 13. zuschaut oder vdB im Clinch mit Nobsi: In beiden Fällen kommt unausweichlich der Augenblick, wo man als Betrachter ausruft „tu’s nicht“, worauf die Angesprochenen prompt ihr Ding durchziehen und sich bald darauf fragen, wie sie in diese Bredouille (dieses Verlies, diesen Sarg) geraten sind.

Ganz einfach: selber schuld. Nehmen wir Brigitte Bailer-Galanda, eine Koryphäe der österreichischen Zeitgeschichtsforschung. Sie schrieb kürzlich über das Handbuch freiheitlicher Politik, das die FPÖ für ihre Funktionäre auflegt, dieses enthalte Aussagen, „wie sie sonst nur in rechtsextremen Publikationen zu lesen sind“.

Damit hat sie ganz sicher recht. Aber die Beispiele hätten sich sorgfältiger wählen lassen. Dass etwa „Betreuung in familiärer Geborgenheit ... staatlichen Einrichtungen wie Kinderkrippen vorzuziehen“ sei, soll ein rechtsextremer Standpunkt sein? Frau Bailer-Galanda schreibt es, allein in ihrem Arbeitszimmer, und fast geräuschlos öffnet eine schwarzbehandschuhte Hand die Eingangstür. Frau Bailer sieht auf. Ein kleines Knacken? Ach, das war nur die Katze. Und sie schreibt weiter:

Die deutsche Sprache stelle einen „Hort der geistigen Überlieferung“ dar, zitiert sie aus dem Handbuch, um dem blauen Wolf das Schaffell herunterzureißen. Wie bitte? An diesem Punkt besteht in der jeweils gültigen Handlungslogik kein Unterschied mehr zwischen der verdienten Historikerin, die Argumente gegen die FPÖ in Stellung bringen will, und einer achtzehnjährigen Filmblondine, die, mit nichts bekleidet als dem Button-down-Hemd ihres Haberers, „nur schnell Bier holen geht“. Beiden wird auf ihrer Mission kein Glück beschieden sein. Denn die Film-Tante mag jung, schnell, behende sein – wurscht, sie hatte vorehelichen GV und ist deshalb designiertes Opfer. Frau Bailer-Galanda ist eine hochkompetente Expertin für Rechtsextremismus, doch das spielt keine Rolle mehr. Wir würden Winston Churchill ohne weiteres die Ansage zutrauen, dass „die englische Sprache ein Hort der geistigen Überlieferung“ sei. Weil es aber in einem FPÖ-Handbuch steht, kann die Expertin der Versuchung nicht widerstehen, die Kotspur von den Nazis zu diesem Satz nachzuverfolgen. Sie existiert zweifellos. Um aber damit zu punkten, müsste man auch einen inhärenten Nationalsozialismus der deutschen Sprache nachweisen. Das geht natürlich nicht, und so sind auch Bailer-Galandas übrige, bessere Argumente desavouiert. Ihr Hinweis ist im Schlagabtausch so wertvoll wie die Beobachtung, dass auch die Nazis klares, deutsches Wasser als Hort der Durstlöschung aufgefasst haben. Es mag schon stimmen, aber es bietet Angriffsfläche für die Frage, ob man denn jetzt auch schon gegen Wasser etwas habe. Wer gegen die Kampfrhetorik eines Hofer oder Strache ankommen will, muss Argumente bringen, die für sich sprechen, und das heißt: mit möglichst wenig Kontext. Denn aus diesem werden sie garantiert gerissen. Auch das Messer bleibt immer gleich scharf, ob es Mike Myers führt oder Jamie Lee Curtis. Wer heil aus der Sache herauskommen will, nehme sich an ihr ein Beispiel.

Freitag, 18. November 2016

Wissenschaft ist schwer

Heute, verehrte Lesehäschen, ist mal wieder Lieblingsthemenfreitag. Nicht etwa „Lieblingsthemafreitag“, denn wir haben gleich zwei prachtvolle Lieblingsthemen, voll aufgezwirbelt mit Mascherln in der Mähne und Schaum vor dem Maul, die ungeduldig mit den Hufen scharren und aus der Startbox preschen: Erstens die Kinderbetreuung, ach ja, die startet los und ist aber schon um die erste Kurve verschwunden, bevor wir so recht erkannt haben, was das jetzt war.
Viel gemächlicher trabt Lieblingsthema Nummer 2 hinterher. Nur weiß man dabei nicht recht, was es ist: Schöne Formulierungen im Journalismus? Oder Wissenschaft, die uns gerade noch gefehlt hat? Es gibt nämlich, und damit kommt jetzt endlich nicht nur der Hengst über die Startlinie, sondern auch die Katze aus dem Sack, eine Dissertation mit dem schönen Titel „Umgang mit religiöser Differenz in elementaren Bildungseinrichtungen. Eine ethnographische Studie an Kindergärten in katholischer und islamischer Trägerschaft in Wien“ von Dr. Helena Stockinger. Leider wurde sie bisher nicht veröffentlicht, sonst könnte ich mehr dazu sagen. Abgesehen von der Frage, welche Mutter, welcher Vater ein Kind so richtig leichten Herzens und fröhlich einer „elementaren Bildungseinrichtung“ anvertrauen würde, ist das jedenfalls eine interessante Fragestellung, auch wenn sie nicht repräsentativ beantwortet wird (weil nur je ein Kindergarten untersucht wurde). 
Glücklicherweise (für uns) oder leider (wahrscheinlich für Dr. Stockinger) wurde die Dissertation auch im Standard besprochen. Dabei passiert, was halt so passiert, wenn eine umfangreiche wissenschaftliche Arbeit in einer halben Spalte abgehandelt wird: Man fragt sich, was das eigentlich soll. Ich bin sicher, Dr. Stockinger hat eine sorgfältige und wichtige Dissertation geschrieben. Doch was die journalistische Radikalbehandlung übriglässt, ist eine Sammlung von Plattheiten. Nach der Lektüre wünscht man sich nur eines: Hätte man es doch im eigenen Beruf auch so leicht wie Dr. Stockinger scheinbar in dem ihren! Der Artikel verkauft uns zum Beispiel dies als promotionswürdige Erkenntnis: Der Kindergartenraum in katholischer Trägerschaft war sehr stark von christlicher Symbolik geprägt.
Ui! Da heißt es aufpassen! Sind wir wirklich so weit vom christlichen Jihadismus entfernt, wie wir uns gern einreden, und so weiter und so fort! Dazu fällt mir ein, dass vor einigen Monaten ein junger Mensch ein Auto in eine Wiener Fußgängerzone gelenkt hat. Beim Aussteigen, so wurde berichtet, habe er irgendwas mit „Allah“ gesagt, sodass er alsbald als islamistischer Attentäter agnosziert war. Mir scheint das nicht völlig beweiskräftig, denn ehrlich: Sollte es mir einmal unterlaufen, dass ich ein Auto in eine Fußgängerzone lenke, wie einem halt einmal ein Blödsinn passieren kann, dann würde ich dieses ebenfalls zügig verlassen, und ich kann nicht garantieren, dass mir dabei kein Jessasmarandjosef auskäme, jedoch ohne dass ich deshalb gleich bereit wäre, mich für die katholische Sache zu opfern.
Übrigens berichtet Dr. Stockinger von einer muslimischen Mutter, die verhindern wollte, dass ihr Kind im katholischen Kindergarten ein Kreuzzeichen macht. Die katholische Pädagogin wies darauf hin, dass es ihr freistehe, ihr Kind einer nichtreligiösen Betreuungseinrichtung anzuvertrauen. Ich hege den Verdacht, dass ich die betreffende Pädagogin kenne. Wenn ja, dann beweist dieser Vorfall mehr für meine Ansicht zu ihrer Intelligenz als gegen konfessionelle „Bildungseinrichtungen“. Soviel zum Freitag.

Freitag, 11. November 2016

Wer ist dieser Trump?

Ooops. Damit hatten wir jetzt nicht gerechnet, oder? Hand hoch, wer gedacht hat, dass Grapschmeister Donald Bürgermeister von Amerika wird! Ich, verehrte und weitblickende Lesehäschen, gebe zu, dass mein Geld auf Frau Clintons Rockschößen in die Taschen der Buchmacher geritten wäre, hätte ich denn welches, um es so frivol zu riskieren. Jetzt ist natürlich alles anders, und das ist erst der Anfang. Ein Gesamtkunstwerk des Grauens nimmt, soweit möglich, Haltung an, um sich an die Spitze der USA zu stellen. Wie das?
Waren es die Single-Issue-Voters, die keine Absonderung eines Kandidaten wahrnehmen, solange er nur ihre Meinung zu Abtreibung, Politikerbezügen, Mexiko oder Hundehaltung teilt? Waren es die Abgehängten? Wer ist das überhaupt?
Mir scheint, wir halbwegs Gebildeten, Situierten, Reflektierten haben uns diesen wirklich ekelhaften neuen Ausdruck deshalb so blitzschnell zu eigen gemacht, weil wir uns damit, wenigstens dieses eine Mal noch, unserer Überlegenheit versichern können. Wir mögen mit den Fingernägeln an der Kante der Mittelschicht hängen, wir mögen uns Sorgen um unsere Kinder machen, wir mögen neidisch nach schräg oben schielen, wo die Wohnungen schicker, die Reisen ferner und die Sorgen stilvoller sind. Aber immerhin haben wir einen höheren Schulabschluss und bessere Zahnversorgung als die, die wir gerade noch abgehängt haben. HansRauscher scheint derselben Ansicht, denn er schreibt:
Bringt eure Angelegenheiten in Ordnung. Zählt eure Aktiva und Passiva, überlegt euch, was ihr tun könnt, um das Schlimmste abzufedern. Besinnt euch auf gemeinsame Interessen, erstellt Notfallpläne für drohende Ereignisse, so unwahrscheinlich sie auch erscheinen mögen. Vor allem: Glaubt nicht, dass es schon nicht so schlimm werden wird.
Ehrlich, Herr Rauscher: Das ist es? Testament machen, Goldbarren im Wald vergraben und Mineralwasser bunkern? Und was ist mit denen, die keine Goldbarren haben? Die sind dann erst recht wieder abgehängt und wählen den nächsten Trump, wenn alles überstanden ist.
Ich denke, das werde ich mir ersparen und stattdessen den Kopf in den Sand stecken. Wenn ich Glück habe, entdecke ich in der Tiefe einen Kaninchenbau, kullere hinab und sehe die andere Seite. Dort wohnt auch eine Wahrheit, und sie lautet: Selbst wenn ein Superschurke Präsident geworden ist, kommen wir ohne Batman klar. Denn der Trumpster ist nicht der Joker, er ist der Pinguin, nicht Heath Ledger, sondern Danny de Vito, kein Horrorclown, sondern die traurige Farce, die von einem Clown bleibt, der das Abschminken versäumt hat.
Wer behauptet, Norbert Hofer sei ein kleiner Trump, dem sage ich: Donald Trump ist ein großer Richard Lugner. Die Unterschiede liegen in den bewegten Summen, im Grad der Integrität, im ausgestellten Rassismus. Die Gemeinsamkeiten sind aber wenigstens ebenso schlagend: Ein Immobilienspezialist kann nicht genug von Trophy Wives bekommen, von medialer Präsenz und von den Lockungen der Macht. Wer die geilere Frisur hat, darüber erübrigt sich jede Diskussion. Stellen wir uns, in Gottes Namen und nicht so wahr mir Gott helfe, auf vier Jahre ein, in denen die schlechten Operetten einmal in Washington gespielt werden anstatt am Ballhausplatz. Auch sie werden vorbeigehen, und dazwischen stehen noch Midterm Elections in zwei Jahren an, die einen Katzenjammer garantieren. Für wen, das wird sich zeigen.
Freilich: Wenn die vier Jahre um sind, werden wir wahrscheinlich froh sein, wenn sich Mörtel noch einmal zur Wahl stellt.