Freitag, 26. Mai 2017

Zentralperspektive

Es kommt alles wieder, und gerade die guten Ideen haben mitunter die fiese Eigenschaft, dich hintenherum zu beißen, wenn du an nichts Böses denkst. Gerade eben in meinem Kopf war es noch lustig, wie Frau B. so unsterblich gesagt hat! Beziehungsweise: Auch wenn du dich gerade einem Kulturgenuss für die gebildeten Stände hinzugeben im Begriffe bist, wirst du eventuell daran erinnert, dass Kultur Geld kostet und deshalb die begüterten Stände auf den besseren Plätzen sitzen. Vielleicht sogar gerade dann. Worum es geht? Um das Theater, o teure Häschen.  Euer Zweckdichter hat sich kürzlich wieder einmal gesammelt, um sich gemeinsam mit seinem kulturbeflissenen Spross eine einschlägige Darbietung reinzupfeifen. Man gab Dorian Gray im Akademietheater. Wer’s nicht weiß: Es handelt sich um eine hochgelobte (wozu hochgelobt? Wenn ihr mich fragt: zu Recht) Inszenierung mit dem ebenfalls gepriesenen (ebenfalls zu Recht, wenn ihr mich fragt) Markus Meyer in der Titelrolle. Die übrigen Rollen erscheinen nicht live auf der Bühne, sondern – denn es handelt sich um eine nicht nur gelungene, sondern auch innovative Angelegenheit – als zugespielte Filmprojektionen, mit denen Dorian interagiert.
Ich hatte die Inszenierung schon einige Monate zuvor einmal gesehen und in guter Erinnerung behalten, damals vom Juchhe links, ziemlich weit vorne. Ich hatte mitbekommen, dass da unten Schätzbares geschah, konnte aber wegen meines extremen Sichtwinkels nicht viel zu den optischen Details sagen. Diesmal hatten wir – denn der Zweckdichterspross ist ein Luxusbalg übelster Sorte – feine Plätze im Parkett rechts. An dieser Stelle darf ich ein dreifaches Hoch auf die Verständnissinnigkeit der Bundestheaterverwaltung ausbringen, die nach einigen Jahren der Umnachtung nun doch wieder eingesehen hat, dass Ermäßigungen für das jüngere Publikum durchaus sinnvoll sind: HOCH! HOCH! HOCH!
Aber zurück zu Dorian Gray: Obgedachte Projektionen erscheinen nicht auf einer einzigen großen Leinwand. Vielmehr besteht das Bühnenbild aus einem Klettergerüst, das eine Anzahl Leinwände verschiedener Größen trägt. Sie stehen alle parallel zueinander, aber in unterschiedlichen Abständen zum Zuschauerraum. Das hat eine erwünschte Folge: Der zunehmend verzweifelte Dorian kann vor und zwischen den Leinwänden herumklettern. Und eine wohl unerwünschte: Richtig gut funktioniert die Sache nur, wenn man halbwegs mittig im Parkett oder auf dem Balkon dahinter sitzt. Schon von den Zweckdichterplätzen  tun sich zwischen den einzelnen Projektionen große schwarze Lücken auf, die gewiss nicht Teil der gestalterischen Vision waren. So findet man sich zurückversetzt in Zeiten, als die Wirkung des theatralischen Geschehens zuallererst für die Leute auf den wichtigsten Plätzen berechnet war: den zuständigen Fürsten und alle, die es sich leisten konnten, in der Mitte zu sitzen. Einst im Duodezstaat, heute in einer der ersten Bühnen des deutschen Sprachraums.
Und jetzt noch das bürgerliche Motschkern: Ich verstehe ja, dass man nicht von überall gleich gut sehen kann, und auch, dass man von teureren Plätzen besser sieht. Aber dass man von relativ teuren Plätzen so schlecht sieht, das ist schon bemerkenswert. Die symbolische Schere, die sich zwischen mittlerer und oberer Mittelschicht öffnet, war noch nie so treffend in – ja genau: in Szene gesetzt – wie hier.

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