Freitag, 19. Mai 2017

Bikinifigur

Viele Häschen und Häsinnen haben sich in den letzten Wochen Sorgen gemacht. Denn es naht die Zeit, in der man von seinen Nebenmenschen wieder viel mehr zu sehen kriegt, als man in vielen Fällen gern zu sehen bekäme. Kurz: Man redet von der Bikinifigur. Gar manche versagt sich im Vorfeld der Entblößung so allerlei. Von Zucker ist da oft die Rede, denn Zucker, so ein landläufiger Aberglaube, mache dick. Auch ich hing lange der Überzeugung von der morphologischen Nährwertidentifikation an: Der Körper verwertet Nahrungsmittel zu jenem Organ, dem sie ähnlich sehen. Deshalb sind Karfiol und Walnüsse gut fürs Hirn, Eier nützen den Augen (Schweindi!) und von Schnitzel kriegt man Muckis. Nimmt man aber etwas zu sich, das mit keinem bekannten Organ Ähnlichkeit hat – zum Beispiel Schokoschirmchen, oder zweifarbig spiralig gedrehte Zuckerstangen – dann macht der Körper daraus Fett. So einleuchtend, so überzeugend. Wahr ist vielmehr: Das stimmt gar nicht. Die Europäische Union hat mich eines Besseren belehrt. Von Zucker kann man gar nicht dick werden!
Aber der Reihe nach. Es begab sich, dass euer Zweckdichter eine zuckerhaltige Süßigkeit zu beschriften hatte. Der erste Vorschlag lautete: „Kraftstoff“. Dies erwies sich nach juristischer Auskunft des Produzenten als – wie sagt man auf Amtsdeutsch? Genau: als untunlich. Denn ein Konsument könnte nach Lektüre der Kraftstoff-Beschriftung auf den Gedanken kommen, dass ihm vermehrte Kraft durch Verzehr der Süßigkeit verheißen werde. Damit wäre der Tatbestand einer unzutreffenden gesundheitsbezogenen Behauptung im Sinne der einschlägigen EU-Verordnung erfüllt. Und das geht natürlich nicht.
Der nächste Vorschlag lautete deshalb Energieschub. Denn Zucker, so dachte ich naiv, enthält ja unstreitig Energie. Das darf man also gewiss wahrheitsgemäß draufschreiben.
Denkste.
Alsbald ward mir die Erhellung, dass dies nicht gehe, da weiterhin ein unzulässiger Bezug zu den verheißenen Auswirkungen des Lebensmittels bestehe. Der zuständige Produzent schlug als Alternative Treibstoff vor, was ich nicht guten Gewissens durchgehen lassen konnte, umso weniger, als die Nascherei pillenartig, wenn auch nicht blau war.
Nun zog ich mich auf die vermeintlich befestigte Position Energie zurück. Auf Zucker Energie zu schreiben, das ist ja so, als schriebe man auf eine Zitrone Vitamin C oder auf eine Seife Reinigung, so dachte ich mir.
Aber weit gefehlt. Der Produzent teilte mit, dass es im EU-Lebensmittelrecht nicht um Logik geht (meine Interpretation), sondern dass „grundsätzlich nicht erlaubt ist, was nicht angeführt ist“. Und es ist zwar ausdrücklich erlaubt, auf ein Lebensmittel low energy zu schreiben (wenn der Kaloriengehalt unter einem bestimmten Schwellenwert liegt). Das bedeutet aber noch lange nicht, dass man oberhalb dieses Wertes Energie versprechen darf. Denn low energy ist als erlaubt angeführt, energy aber nicht. Mithin ist juristisch erwiesen, dass Zucker nicht ausreichend Energie enthält, um deine häschenschlanke Bikinifigur zu gefährden. Lass es dir ruhig schmecken.
Im Übrigen schreibe ich wieder einmal ein Forschungsstipendium aus, dotiert wie immer mit einer Leberkässemmel und einem Bier: Es gründe ein berufenes Häschen bitte eine Briefkastenfirma mit dem einzigen Zweck, eine Tafelwassermarke zu lancieren, und zwar unter dem Namen Feucht. Feuchtigkeit nämlich ist nicht in der Liste erlaubter Behauptungen angeführt. Es handelt sich aber eindeutig um eine gesundheitsrelevante Angelegenheit, da Austrocknung lebensgefährlich ist. Ich bin gespannt, ob die Marke Feucht in der EU reüssieren kann, oder ob sie nur unter der Budel vertrieben wird, an Feuchtigkeitsjunkies in the know, wie wir Bescheidwisser sagen.

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