Freitag, 10. November 2017

#Ichauchnicht

O Häschen, unser mittlerweile unsichtbarer Hase Harvey hat uns da ein paar ordentliche Eier gelegt. Vor einem Weilchen war hieramts die Rede von der Logik der Verhüllung, die in manchen muslimischen Kreisen Frauen auferlegt wird. Leider ist die aufgelegte Begründung, dass obgedachte Verhüllung dem Schutz der Frauen vor dem unkontrollierbaren Triebtier Mann diene, offensichtlich nicht so schief, wie man gern gedacht hätte.
Dank dem Monsterhasen entsteht wieder einmal eine heftige Diskussion, und weil wir ja unsere Befindlichkeit schneller mit der Welt teilen können als über sie nachdenken, fehlt es beiderseits nicht an Schlaumeiern, die aus der Dumpfheit der jeweils anderen argumentatives Kapital zu schlagen bereit sind. Frau Proll, dass Sie noch nie jemand belästigt hat, ist schön für Sie. Möge es sich nie ändern. Ihre Freude am Flirten beweist aber nichts gegen das Recht anderer Frauen, ebenfalls nicht belästigt zu werden.
Dass Herr Weinstein ein Ungustl und ein Eierbär ist, dürfte mittlerweile auch den meisten klar sein. Ob aber die Sache der gern unbelästigt bleibenden Frauen davon profitiert, wenn jetzt jede zweite Schauspielerin, die einmal mit dem Mann einen Teppich geteilt hat, mit einem Erlebnis herauszurücken sich bemüßigt fühlt, bei dem mehrheitlich am Ende eh nichts herausgekommen ist, außer dass sie sich „bedroht“ oder „ungut“ oder weißdergeier gefühlt hat, wage ich zu bezweifeln. Gerade bei Weinstein beobachten wir ein Phänomen ähnlich jenem in der alten Geschichte vom jungen Hirten, der immer „der Wolf!“ gerufen hat. Alles, was einmal a) im paarungsfähigen Alter und b) in seiner Nähe war, schreit jetzt „der Weinstein!“, sodass die Rufe jener übertönt werden, denen durch ihn tatsächlich Schlimmes widerfahren ist.
Außerdem macht mir an der Sache Sorgen, dass Unbill auf die sexuelle Sphäre reduziert wird. Jede von uns (ja, auch euer Kolumnator) ist schon einmal einem Arschloch über den Weg gelaufen, das sich entsprechend verhalten hat. Wir alle wissen, dass man dann die Wahl hat, sich zu wehren, die Behandlung zu schlucken oder sich zurückziehen.
Nun scheint aber in Sachen sexueller Belästigung eine neue Auschwitzregel zu gelten: Sexuell belästigt zu werden (wir reden hier nicht von Vergewaltigung, wohlgemerkt), das ist anscheinend etwas unsagbar, unvergleichlich Schlimmeres als auf irgendeine andere Art von seinem Nebenmenschen unterbuttert, heruntergemacht oder ausgenutzt zu werden.
Aber warum? Ich bin nicht davon überzeugt, dass es etwas intrinsisch (wollte ich immer schon mal verwenden!) anderes ist, sich auf zwischengeschlechtlicher Ebene als Drecksau zu erweisen, als auf einer anderen, allgemeiner zwischenmenschlichen. Das Gegenüber ist in jedem Fall in seiner Menschlichkeit reduziert, und Menschlichkeit ist nicht nur Sexualität. Wenn es heute relevant ist, ob ich 1998 eine Frau doof angemacht habe (habe ich übrigens nicht, nur so der Vollständigkeit halber), ist es dann nicht ebenso relevant, ob sich einer ebenfalls 1998 mir gegenüber als echt blöde Sau erwiesen hat? Auch ich wurde dadurch heftig belästigt, wenn auch nicht auf sexueller Ebene. Wir beide wurden 1998 verletzt, wir beide haben nach Maßgabe der Verhältnisse gelitten, und wir beide sind darüber hinweggekommen. Fern sei es mir, einer alsbaldigen Verjährung sexueller Verbrechen das Wort zu reden. Aber wenn ihr mich fragt: Irgendwann sind die meisten Trotteleien, die sich ein Trottel zuschulden kommen lässt, Schnee von gestern, ob sie mit seinem Sack zu tun haben oder nicht. Können wir uns darauf konzentrieren, wie wir zu einem gesunden Verhältnis der Geschlechter kommen, ohne uns anhören zu müssen, wer zu Zeiten der Regierung Clinton ein Hotelzimmer nicht betreten hat, weil ein „Mogul“ im Bademantel drin war? Das wäre fein.

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