Freitag, 19. Oktober 2018

Vegan

Euer ergebener Kolumnator hat ausnahmsweise einmal wirklich Nachhaltiges zu vermelden, o teure Lesehäschen! Ich werde es euch künftig gleichtun und mich von früh bis spät strikt vegetarisch, ja sogar vegan ernähren.
Hier ist es Zeit für einen kleinen Exkurs zum Thema „Flexitarismus“, weil sich vor wenigen Wochen einem Flexitarier die Frage entrang, warum die Flexitarier keiner mag. Also, warum die Vegetarier die Flexitarier nicht mögen, versteht sich von selbst. Die sogenannten Carnivoren mögen die Flexitarier nicht, weil diese so tun, als unterschieden sie sich von jenen. Jedoch können auch bei Carnivoren ganze Tage zwischen zwei Fleischrationen vergehen, bisweilen sogar mehrere am Stück. Nach einer solchen Fleischpause fühlt sich die Durchschnittscarnivorin jedoch dem Vegetarismus keinen Zentimeter näher. Das unterscheidet sie von der Flexitarierin, die sich als halbe Vegetarierin wähnt, weil sie gelegentlich Mahlzeiten ohne Fleisch zu sich nimmt. Liebe Flexitarier: Was ihr so treibt, nennt man „herkömmliche Ernährung“. Oder auch ganz ordinär „Fleisch essen“.
Doch das alles liegt ja nun hinter mir. Die reine Lehre des Veganismus ist nunmehr meine, und zwar ohne, dass ich auf irgendetwas verzichten müsste.
Wer nämlich geglaubt hat, dass nur die Mönche von einst dem Prinzip anhingen, ein Otter zähle, weil er im Wasser schwimmt, zu den Fischen und dürfe daher am Freitag verzehrt werden, der hat noch nie vom hippen Phänomen der Low-carb Pasta gehört, also von Teigwaren, die der Kohlenhydratentbehrung Vorschub leisten. Solange damit Nudeln aus Kichererbsen oder Linsen gemeint sind, darf man sich achselzuckend dem Kulturteil zuwenden. Auch die Glutenintolerante bäckt sich eine Semmel aus Qinoa und hat dabei ein Mehl durch ein anderes ersetzt.
Interessant wird es aber bei „low-carb Pasta“ aus Zucchini, Kohlrabi oder anderen feinen Sachen. Für alle, die topaktuellen Ernährungstrends genauso hoffnungslos hinterherhinken (aber gut in Alliteration sind) wie ich: Bei dieser sogenannten low-carb Pasta handelt es sich um nichts anderes als Gemüse, das lang- und dünnnudelig aufgeschnitten wird, ähnlich kräftigen Spaghetti oder Bavettine zum Beispiel. Im Handel sind sogenannte „Spiralschneider Low Carb“ erhältlich, mit denen es auch feinmotorischen Analphabeten gelingt, Entsprechendes zu erzeugen. Mich hat das sofort an jenen früheren Kollegen (und ausgewiesenen Carnivoren) erinnert, der bei einem Umtrunk die Mini-Cabanossi entdeckte und begeistert ausrief: Super, Soletti aus Fleisch!
Ja, und damit wisst ihr jetzt auch, warum eurem Zweckdichter die Umstellung auf den Veganismus so herrlich leichtfallen wird: Wem wollte nicht aromatischer Prosciutto in Gestalt eines verwordackelten Riesenkürbis munden! Herzhaft locken die Rote-Rüben-Wurst aus echter Blunze und die Kichererbsenknödel voller Kalbsbrät. Wem der Sinn nach italianitá steht, der greife zu Bärlauchravioli mit Lammfülle. Als Krönung wartet freilich das echte schmalzgebackene Schweinsschnitzel in Form eines Tofuschnitzels, 100 % fleischig, 100 % vegan, 100 % köstlich. Entschuldigt mich, während ich mir ein großes Stück Schokolade in Form eines völlig kalorienfreien Stückes Styropor genehmige. Wer hätte gedacht, dass Verzicht so gut schmecken kann. Schönes Wochenende!



Freitag, 12. Oktober 2018

Sicherheitshalber

Manchmal, o hochgeehrte Lesehäschen, lässt auch euer Kolumnator das Schreiben sein und liest stattdessen selber etwas. Dabei schaut er auch bisweilen auf ze.tt
Kennt ihr ze.tt? ze.tt ist das, was herauskommt, wenn die von der ZEIT Angst bekommen, dass ihnen die Leser wegsterben, anstatt sich darauf zu verlassen, dass ihnen andererseits welche zuwachsen werden. Auf der Suche nach einer Lösung geraten sie ins Hirnwixen und denken dabei ganz, ganz fest ans VICE-Magazin. Das VICE-Magazin (für alle über 35) ist das, was herauskommt, wenn echt junge Menschen ein Magazin mit gut recherchierten Geschichten über relevante Themen machen, sich aber für die Gestaltung einen Art Director (oder eine Art Directrice, keine Ahnung) eintreten, die auch echt jung ist und noch nie vom Phänomen der Presbyopie, vulgo Altersweitsichtigkeit gehört hat. Anders gesagt: Ich hatte einmal eine Reproduktion der First-Folio-Shakespeare-Ausgabe in der Hand, also alle 36 Dramen des Barden in einem Band. Sie war lesefreundlicher als eine durchschnittliche VICE-Doppelseite, die nämlich so aussieht wie ihr eigener Rechtstext. Deshalb bin ich bisher leider an der VICE-Lektüre gescheitert.
Auf ze.tt hingegen habe ich hin und wieder das eine und andere gelesen. Also, wenn das die Art von Journalismus ist, die heutige Noch-nicht-ZEIT-Leser auf die Lektüre der künftigen ZEIT vorbereiten soll, dann lese ich in Zukunft wahrscheinlich weder ze.tt noch die ZEIT. Für Erkenntnisse wie die, dass die Verfremdung von Wahlplakaten der wahlwerbenden Partei wahrscheinlich nicht recht ist, brauche ich hoffentlich noch lange keine journalistische Unterstützung.
Ein wichtiger Unterschied zwischen ze.tt und VICE besteht darin, dass sich VICE anscheinend eines Lektorats erfreut. Das Schöne an einem Lektorat ist, dass nachher weniger Blödsinn dasteht. Lange dachte ich ja, dass die Blödsinnsdichte in den ze.tt-Artikeln von Eva Reisinger Eva Reisinger geschuldet sei. Mittlerweile habe ich aber auch Artikel anderer ze.tt-Autoren gelesen und entschuldige mich hiermit bei Eva Reisinger. Ich kann nicht ausschließen, dass mittelfristig eine ze.tt-Blütenlese bevorsteht. Heute darf aber doch noch einmal Frau Reisinger vor den Vorhang treten, und zwar mit dieser schönen Stelle:
[...] nahm ihn der Besitzer eines Hotels in seinem Jeep mit. Er raste mit ihm am Beifahrer*innensitz die kleinen, steilen Straßen des Ortes hinauf [...].
Wir haben also einen Fahrer und einen Beifahrer. Der Beifahrer sitzt aber nicht am (und leider erst recht nicht auf dem) Beifahrersitz, sondern auf dem Beifahrer*innensitz (dass der Fahrer auf dem Fahrer*innensitz sitzt, können wir nur vermuten). Verlieren wir uns nicht in der Frage, wer auf dem Beifahrer*außensitz sitzt, schließlich handelt es sich um einen Jeep und nicht um einen VW-Bus. Widmen wir uns lieber dem Rätsel des vorauseilenden Genderns. Denn beide Sitze (ob innen oder außen) sind von männlichen Menschen besetzt. Die Genderformel deckt lediglich die Möglichkeit ab, dass hier irgendwann einmal andere Platz nehmen. Wie dringend brauchen wir sie? Dafür wäre nicht nur zu klären, ob der Hotelier seinen Jeep exklusiv nutzt oder ob gelegentlich auch seine Frau oder Tochter damit fährt. Sondern vielmehr folgende Frage: Wie wahrscheinlich muss es sein, dass irgendwann das Nutzergender von männlich zu sonstwas wechselt, damit man vorsichtshalber besser gendert? Antwort: Es wäre unethisch, Wahrscheinlichkeitsprozente gegen Genderdiskriminierung aufzurechnen. Wenn wir von einem Beifahrer*innensitz sprechen, obwohl aktuell ein Beifahrer daraufsitzt, dann kann das nur ein Signal sein, auch so manchen anderen Terminus kritisch zu überdenken. Wer weiß, was die Zukunft bringt! Sichern wir uns also rechtzeitig die Rechte nicht nur am Mönch*innenorden, am Freimaurer*innentempel und natürlich an diversen Brüder*innenschaften. Bleiben wir vielmehr bei den nur derzeit nachweislich männlich besessenen Sitzgelegenheiten und gendern wir durchgängig den Päpst*innenthron. Man weiß ja nie. Schönes Wochenende!

Freitag, 5. Oktober 2018

Fliegen

Das Deutsche ist ja durchaus eine hübsche Sprache, da ist euer Kolumnator der Letzte, der was zu meckern hätte. Gelegentlich findet man aber doch anderwärts Geschliffenheiten, deren unsere genderneutrale Eltern*zunge (das * bedeutet, dass es mir ferne sei, hergebrachten, um nicht zu sagen: überkommenen kernfamiliären Strukturen das Wort zu reden) ermangelt.

Wo waren wir? Genau: Was andere Sprachen besser können. Davon habe ich mangels Fremdsprachenkenntnissen ja bedauerlich wenig Ahnung. Doch am Englischen hat mich eines immer besonders fasziniert: sein verschwenderischer Reichtum an Kollektiva.

Ein Kollektivum ist, für alle, die Latein bedauerlicherweise ausgelassen haben, ein Wort, das im Singular steht, mit dem wir aber eine Vielheit gleichartiger Dinge bezeichnen. Einfache Beispiele sind Menge, Haufen oder Gruppe. Für Tiere gibt es eigene Kollektiva, die heißen Rudel, Schwarm oder Herde. Wir denken kurz an Ottos „Lied der Wölfe“ (Jo, mir san mit’m Rudel do), danach ist auf Deutsch auch schon wieder Schicht im Schacht. Nur den Waidleuten fällt noch dies und das ein, zum Beispiel die Rotte, die eine Zusammenrottung von Schweinsviechern meint.

Auf Englisch geht es bittesehr ganz anders zur Sache. Die dortigen terms of venery (so heißen die lässigen Kollektiva auf Englisch) sind mit Recht berühmt, weil ich nämlich mit euch wette: Mindestens drei Vierteln von euch geht es wie mir, und ihr könnt von der entsprechenden Wikipedia-Liste höchsten die Hälfte der Tierarten übersetzen, von den terms of venery ganz zu schweigen. Was waren noch einmal wigeons oder dunlins? Mehrere Wölfe heißen pack, was insofern interessant ist, als pack auf der anderen Seite des Gesetzes auch Meute bedeuten kann. Aber mehrere Löwen sind zwar auf Deutsch ebenfalls ein Rudel, auf Englisch hingegen ein (oder eine?) pride.  Viele Friedfische (ha, da habt ihr schon wieder was gelernt) heißen vielleicht auch auf Deutsch Schule. Aber warum heißt ein Schwarm flock, wenn er aus Gänsen besteht, hingegen flush, handelt es sich um Enten? Neidisch könnte man werden bei einem business Fliegen oder einem regiment Flamingos. „Hier wimmelt es ja von Fliegen!“ – „Ja, das business brummt.“ Hach, da kullern die Kalauer wie von selber daher!
Doch zurück zum Ernst des Lebens. Warum bittesehr gibt es nur für Löwen, Schnepfen oder Dachse so schöne Sammelwörter? Die Fauna des öffentlichen Lebens will schließlich auch repräsentiert sein. Hier ist die Kreativität unterbeschäftigter Wortschöpfer gefordert! Wie wäre es zum Beispiel mit einem Horben Gutmenschen? Ein Binsel Topmodelkandidatinnen klingt schon so ausgezehrt, wie Heidi Klum das gerne sieht. In der Politik ist einerseits Fingerspitzengefühl gefragt: Mir gefiele zum Beispiel das Wünzlein für FunktionärInnen der Grünen oder der SPÖ, denn diese gefährdeten Arten wollen zart angefasst sein. Die ÖVP andererseits kann etwas vertragen, ein Kalomp gestandener türkiser Regierungsmitglieder haut so schnell nix um. Hat man freilich eine Ansammlung freiheitlich gesonnener Innenminister zu benennen, so braucht man, finde ich, das Rad nicht neu zu erfinden. Was hier zählt, ist das business. As usual.