Sozial distanziert und zuhause an der Kippgrenze: So leben
wir dieser Tage! Denn es zeigt sich nur allzubald: Wer immer da ist, gilt bald
nichts mehr, oder Schlimmeres. Der Film der Stunde ist deshalb nicht Contagion, World War Z oder I am Legend, sondern das Loriot’sche
Meisterwerk Pappa ante Portas, worin
Renate feststellt, dass das Leben nicht unbedingt besser wird, wenn der
geliebte Andere endlich mehr zuhause ist, was in dem unvergesslichen Satz gipfelt:
Ich habe ja nicht gewusst, wie es ist,
wenn er Zeit hat!
Ja, ja, man soll vorsichtig mit den eigenen Wünschen sein,
sagen die Engländer, und recht haben sie.
Wer klug ist, nutzt deshalb die aktuelle Ruhe, um sich
endlich einmal den Fragen zu widmen, deren Klärung man im einst normalen Alltag
immer vor sich hergeschoben hat. Und da reden wir noch nicht davon, woher wir
kommen und wohin wir gehen (Antwort: wahrscheinlich in Kurzarbeit, mit Glück),
sondern zum Beispiel davon, wie die Zahnputzanleitung
damals eigentlich zu verstehen war.
Denn euer Ergebener, o meine teuren und nun allzu fernen
Lesehäschen, ist zwar noch nicht in die Risikogruppe hinein-, jedoch schon
länger aus der Jungspundphase herausgewachsen. Ich weiß daher nicht, was man
Kindern so um 1990 zum Thema Mundhygiene eingeschärft hat. In den vorangehenden
Jahrzehnten galt aber eine scheinbar einfache Regel, nämlich: von
Rot nach Weiß, immer im Kreis, wobei Rot natürlich das Zahnfleisch meinte und Weiß – in den meisten Fällen zweckoptimistisch – den Zahn.
So weit, so schlicht. Aber wie soll das funktionieren? Nämlich
angenommen, dass man ein herkömmliches Gebiss hat und nicht eines, das
aussieht, als ob sich M.C. Escher
auf die Kieferorthopädie geworfen hätte. Von Rot nach Weiß ist ja kein Problem.
Aber wenn man kreisförmig weiterputzt, landet man unweigerlich wieder bei Rot
und hat damit die so einfache Regel verletzt. Oder man lüpft auf dem Rückweg,
wo man von Weiß nach Rot käme – aber wozu dann der Kreis in der Anweisung?
Für den geübten Verschwörungstheoretiker
– und sind wir das in Zeiten von Social
Distancing nicht alle? Denn je ferner dein Nebenmensch, desto näher der
Verdacht, dass er etwas im Schilde führt! – für den geübten Verschwörungstheoretiker
also liegt auf der Hand, dass es in Wahrheit um etwas anderes als das Zähneputzen
ging, und da brauchen wir noch gar nicht Dr.
Strangelove mit seinen trinkwasserflourierenden Kommunisten zu bemühen, die sich in den 70ern zumindestens in Österreich,
diesem Tummelplatz der Kalten Krieger, ans Tageslicht getrauten, weshalb wir
Volksschüler damals regelmäßig auf Staatskosten Fluortabletten verabreicht
bekamen, deren leuchtmarkerartiger Farbton nicht einmal in den LSD-bunten 70ern
irgendeinem anderen Lebens- oder Nahrungsergänzungsmittel glich.
Aber wie gesagt, so weit müssen wir nicht gehen. Tatsächlich,
und ich bin froh, dass wir das endlich klären können, ging es bei der
rätselhaften Putzanleitung um die Politik,
nämlich daran, die formbare Jugend rechtzeitig an jene Stabilität zu gewöhnen,
mit welcher der Proporz das Land
segnete: Von Rot nach Schwarz, immer im
Kreis, und wenn irgendwo ein Sozi ein Amt bekam, wurde im selben
Bürstenstrich ein Bauernbündler auf die entsprechende Komplementärposition geschoben
und umgekehrt. Im direkten Vergleich zu Vergabepraktiken der letzten Jahre kein
übles System, oder? Nur schade, dass eine ganze Generation kaum abzuschätzende
Summen in die Kassen der niedergelassenen Zahnmediziner gespült hat, weil sie
von der ebenso schlichten wie unerfüllbaren Anweisung dermaßen verunsichert war, dass sie das
Zähneputzen lieber gleich bleiben hat lassen, von neumodischen Kinkerlitzchen
wie Zahnseide gar nicht zu reden. Aber ein geordnetes Staatswesen muss einem halt ein paar Jacketkronen wert sein. Isoliertes Wochenende!