Freitag, 24. Juli 2020

Grabpflege


Der Unterschied zwischen Stadt und Land wird, o urbane und gebildete Lesehäschen, einerseits immer geringer, weil es überall Streamingdienste und stellenweise sogar Verkehrsampeln gibt. Andererseits halten sich einige tiefwurzelnde Unterschiede, mit denen man nicht gerechnet hätte. Bis vor Kurzem gehörte dazu noch der dörfliche Brauch, dass der Stammtisch rauchfrei war, während aber im Extrazimmer weiterhin inoffiziell gepofelt wurde. Die Coronakrise und die mit ihr einhergehende Verschärfung staatlichen Durchgreifens bis in persönliche Fragen wie jene, ob man jetzt gerade auf dieser Parkbank sitzen dürfe, hat diesem rührenden Relikt aus unbeschwerteren Zeiten ein Ende bereitet. Damit stehen auch Betreiber von Wirtshäusern (die sich bekanntlich von Gasthäusern dadurch unterscheiden, dass in diesen immer der Gast recht hat) vor der Frage, ob sie nicht nur in einen Wärmepilz investieren sollen, damit den rauchenden Gästen im Winter nicht kalt, sondern – in Zeiten der Klimakrise wesentlich wichtiger – auch in eine Nebleranlage, damit ihnen im Sommer nicht zu heiß werde. Kein Witz, erste Vernebelungsapparate wurden in Schanigärten der Wiener Innenstadt bereits gesichtet. Euer Kolumnator hält sich hingegen gern an den bewährten Kniff, sich in ein gut verschattetes Altbaulokal zu verziehen, wenn es draußen zu heiß wird. Jedem das Seine.
Was sich hingegen hält, ist die Grabpflege, die, und genau hier verläuft die Grenze zwischen Stadt und Land, entweder dem Gärtner überlassen oder selbst erledigt wird. Es wäre vermessen, einen Zusammenhang zwischen eigenhändiger Kranken- und Grabpflege herstellen zu wollen. Klar ist aber: Wenn du gärtnern lässt, wohnst du mindestens im Speckgürtel. Erst wenn du dir selber die Finger schmutzig machst, hast du die Stadt wirklich hinter dir gelassen. Dabei ist es mit dem saisonalen Austausch der Bepflanzung keineswegs getan. Je nach lokalem Klima will das Grünzeug der Würde auch gewässert sein. Euer Ergebener kennt einen Fall, in dem die ortsüblichen Grabstätten ungefähr die Größe eines stattlichen Doppelbetts haben (King Size, wie der Amerikaner sagen würde) und wo längere Sonnenperioden im Hochsommer nicht selten sind. Das übersetzt sich in tägliches Schleppen von acht wohlgefüllten Gießkannen. Die allseits gefürchtete Landflucht der Jugend erklärt sich damit nicht nur durch das umfangreichere Jobangebot in Ballungsräumen. Wer nämlich keine genehme Beschäftigung findet, sieht sich im Handumdrehen zum Grabbetreuungsdienst eingeteilt – „du bist ja noch jung und hast eh Zeit“ – sodass der Nachwuchs sich schleunig vom Acker macht, und sei es nur, um im Bahnhofsviertel einen Ersatz für Karriere zu machen. Auch eine Drogenlaufbahn ist eine Laufbahn, und wer hier schnell vorankommt, muss sich wenigstens keine Gedanken mehr darüber machen, wer sich um die eigene Ruhestätte kümmert, in krassem Widerspruch zu jenem Pfarrbrief aus der Heimatgemeinde eures Kolumnators, in dem die Schäflein unvergesslicherweise aufgefordert wurden, jedes sein eigenes Grab zu jäten.
Deshalb: Verkleinert die Grabstätten, damit das Land lebendig bleibt! Schönes Wochenende.

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