Freitag, 12. Februar 2021

Wir belehren sich einander

 

Einst, meine teuren und sicherlich regelmäßig getesteten Nasenbohrerhäschen, machte sich der Restösterreicher unangemessen lustig über die dialektalen Eigenheiten Tirols. Wie unschuldig und zugleich fehlgeleitet wirken diese Witzchen („Wie heißt Banane auf Tirolerisch?“) heute! Wissen wir doch, dass die Aussprache blunzn bis unerheblich ist, während Nuancen der grammatischen Feinwürzung den Unterschied machen können, der eben in Tirol dieser Tage zu oft auf der Strecke bleibt.

Damit sind wir endlich beim schon letzte Woche verheißenen Unterschied zwischen reflexiven und reziproken Pronomina, der heute mehr auf den Nägeln brennt denn je.

Weil warum? Abwarten! Beim Reflexivpronomen handelt es sich um ebendieses, wie hoffentlich allgemein bekannt. Wenn du dich wäschst, ist dich ein Reflexivpronomen. Die Dinger heißen so, weil man sie auch braucht, wenn man sich im Spiegel betrachtet und der Spiegel bekanntlich reflektiert. Fakt! Natürlich auch, wenn ich mich in zwei Spiegeln betrachte, bei dem Versuch, mir selber die Haare am Hinterkopf in ansehnliche Form zu bringen, weil ich den Doc-Brown-Look satt habe, was natürlich für den Hugo ist, weil man es erstens nicht hinkriegt und weil es zweitens ja reicht, der Kamera beim Zoom-Meeting nicht den Rücken zu kehren. Ich prophezeie allein schon aus der normativen Kraft des Faktischen ein großes Revival der Vokuhilamatte!

Das Reziprokpronomen hingegen spiegelt nicht nur, es spielt über die Bande. Denn ich kann mich berühren, du kannst dich berühren. Doch wenn wir uns berühren, wer berührt dann wen? Für diese erotisch entscheidende Frage hält die Grammatik zum Glück eine Antwort bereit: Wenn wir uns berühren, gibt es höchstens Zoomsex. Berühren wir hingegen einander, dann bringt das Reziprokpronomen endlich frischen Pfeffer ins Gefühlsleben.

Duden lässt uns wissen, dass die Verwendung von einander eventuell gestelzt wirken kann, wenn der Satz auch mit dem stattdessen heute gern genommenen Reflexivpronomen unmissverständlich ist. So sei es vollrohr okay, wenn wir mitteilen, dass zwei sich in einer Bar kennengelernt haben, ehe sie zu gegenseitigen Berührungen schritten, anstatt einander, während es ratsam ist, klarzustellen, ob wir wenig später unehrlich zu uns oder zueinander waren. Soll sein. Dass wir sich einander treffen, kommt jedenfalls nur östlich von St. Pölten vor.

Und was ist mit Tirol? Je nun. Das Reziprokpronomen ist nicht nur in Fragen der zwischenmenschlichen Beglückung wichtig, sondern auch im Krankheitsfall. Denn man sagt wohl, man habe sich angesteckt. Tatsächlich hast du dich aber niemals allein angesteckt. So ein Virus entsteht ja nicht durch Urzeugung in dir, wenn dein Immunsystem gerade jemand Begehrenswertem nachspechtelt und deshalb unkonzentriert ist. Vielmehr trägt jemand es dir zu, und dann hast du es: Wir stecken stets einander an. Im Lichte der jüngsten Entwicklungen scheint es aber, dass in der tirolerischen Umgangssprache das Reziprokpronomen aufs Bedauerlichste vernachlässigt wird, sodass man dort – Sprache formt Wahrnehmung! – zu der irrigen Überzeugung gelangen konnte, es stecke ein jeder sich an, während die Ansteckung zueinander im Seuchengeschehen höchstens eine Nebenrolle spiele. Bei allen Reisewarnungen und sonstigem Pipapo sei deshalb der Bundesregierung und hier natürlich Herrn Faßmann nahegelegt, das heilige Land mit ein, zwei Paletten deutscher Grammatik-Standardwerke aufzumunitionieren. Nutzt’s nix, schadt’s nix. Schönes Wochenende!

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