Freitag, 5. Februar 2021

Fünfsternegendern

 

Eigentlich, o teure Häschen aller 57 Facebookgenders, wäre ja heute der kleine Unterschied zwischen reflexiven und reziproken Pronomina dran gewesen. In Zeiten wie diesen muss man sich aber an Onkel Faßmann ein Beispiel nehmen und auf sich rasch ändernde Umstände flexibel reagieren. Deshalb nun zu einem anderen kleinen Unterschied. Die nächsten Wochen werden entscheidend sein, nämlich in der Frage, wie man heutzutage einen Brief korrekt beginnt, dessen Empfänger*innen (ja, heute gendern wir mal) einem nicht näher bekannt sind – ob es sich also um Onkel, Tanten oder ein noch zu findendes Nomen zur Bezeichnung von Leuten handelt, die mit deinen Eltern die Eltern gemein haben, ohne deine Eltern zu sein.

Bisher schrieb man hier „Sehr geehrte Damen und Herren“, aber das geht natürlich nicht mehr, weil Leute, die weder das eine noch das andere sind, sich mit Recht ausgeschlossen fühlen würden. Der Lösungsvorschlag, den euer Ergebener auf dem Tisch liegen hat, lautet Sehr geehrte Damen*Herren!

Um ihn richtig einschätzen zu können, hilft ein Blick in die Geschichte.  Es hat sich nämlich eine Bekannte eures Ergebenen vor einer Weile in der Schweiz aus Gründen, die hier zu weit führen würden, zahlreiche Frauenskelette genauer angeschaut. Die meisten hatten keine Zähne, denn, so stellte sich auf Nachfrage heraus: Noch im späten 19. Jahrhundert war in manchen Schweizer Regionen eine besondere Form der Mitgift verbreitet. Der Brautvater ließ seiner Tochter alle Zähne ziehen, damit der Bräutigam sicher sein konnte, dass auf ihn keine unvermuteten Zahnarztkosten mehr zukamen. So viel zum „schönsten Tag im Leben einer Frau“.

Ähnliches, scheint mir, ist bei den Damen*Herren geschehen. Denn so ein Gendersternchen ist zwar in vieler Hinsicht unbefriedigend, jedoch besser als nix, bevor man in im Binären verharrt. Wie es angezeigt ist, einen kranken Zahn zu reißen (zumindest, wenn man mit dem zahnmedizinischen Stand des 19. Jahrhunderts leben muss), so kann auch ein Gendersternchen eine einfache Lösung sein, wenn es klarzustellen gilt, dass zum Beispiel Empfänger*innen nicht nur solche sind, die sich als Frau oder Mann wohlfühlen. (Empfangende ist da einfach nicht dasselbe, weil du auch die Empfängerin eines Briefes sein kannst, ohne dass sich in deinem Inneren gerade das Spermium den Weg zur Eizelle bahnt.)

Nur dass das Gendersternchen mitunter nützlich ist, heißt aber nicht, dass es alles besser macht, ebensowenig wie die Totalextraktion eines gesunden Gebisses der erste Schritt ins Eheglück sein muss.

Denn in der Empfänger*in oder der Kund*in und meinetwegen auch der Geburtshelfer*in lenkt das Sternchen den Blick darauf, dass die binäre Genus-Struktur des Deutschen der Realität nicht gerecht wird. Das Sternchen füllt die Leerstelle, für die es zuvor Bewusstsein geweckt hat, auch wenn man es leider zwar wahrnehmen, aber nicht aussprechen kann.

In den Damen*Herren füllt es aber eine Leerstelle, die zuvor jeder gesehen hat, nämlich die beiden Leerzeichen mit einem und dazwischen. Nun ist die Sprache nicht nur ein Werkzeug, sie ist auch ein Wesen. Wenn du diesem Wesen ein neues Gen-Sternchen einpflanzst, dann entsteht eine Sprach-Chimäre. Denn wer Leerzeichen eliminiert, provoziert Verbindungen, und ich setze einen Preis in Form einer Leberkässemmel und eines handwarmen Dosenbiers auf den Kopf aus, in dem beim Anblick dieses Schriftbilds nicht sofort der Damenherr entsteht. Mit dieser Chimäre aber fühlt sich, fürchte ich, niemand mehr gemeint, außer vielleicht jene Personen im Dienstleistungsbereich zum Beispiel Thailands, die daraus eine Profession gemacht haben.

Beherzigen wir deshalb jene Vorschläge, die das gute Internet für uns bereit hält, und schreiben wir stattdessen Hallo! oder Guten Tag! oder gerne auch: Schönes Wochenende!

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