Kann man, o teure Lesehäschen, nur über Dinge sprechen? Oder auch über Wörter? Bisher dachte euer germanistisch vorbelasteter Kolumnator sogar über Wörter sprechen zu müssen. Wir lernen jedoch, dass man dabei, wenn es blöd hergeht, seinen Job verlieren kann. So erging es, wie ihr woken Häschen bestimmt schon wisst, einem Redakteur der New York Times namens Donald McNeil, der mit einer Schülergruppe auf Bildungsreise in Peru unterwegs war. Es ergab sich ein Gespräch mit einer Schülerin über ein Video eines Buben, der darin das Wort „Nigger“ verwendete. Natürlich ist das ein schiaches Wort, mindestens so schiach wie „Judensau“ oder „Funzn“ oder ganz viele andere Wörter. Ich vertraue jedoch darauf, dass euch klar ist: Euer Zweckdichter sieht a priori keinen Unterschied zwischen Menschen, ungeachtet ihrer Hautfarbe, ihrer Religion oder ihres Geschlechts, behält sich aber freilich das Recht vor, einen jeden nach näherer Untersuchung als Arschloch zu klassifizieren. If it walks like a duck …
Jedenfalls erkundigte sich Herr McNeil in gedachtem Gespräch näher, wie denn der Knabe das Wort „Nigger“ verwendet habe. Damit war die Sache gegessen, denn nach einigen Umwegen verlangten 150 seiner geschätzten Kollegen von ihm öffentlich eine Entschuldigung, weil das Wort „Nigger“ immer schon eine Beleidigung sei und man es daher keinesfalls auch nur zitieren dürfe.
Einmal ehrlich, o teure Häschen: Ist es für so etwas nicht ein bisschen spät? Hätten wir noch die Ursprache Adams, in der jedes Ding genauso hieß, wie es ihm frommte, dann wäre da vielleicht was dran. Doch seit der babylonischen Sprachverwirrung müssen, nein: dürfen wir mit einer Kluft zwischen Zeichen und Bezeichnetem leben. (Wer sich zu diesem Thema gepflegt unterhalten lassen will, der lese Embassytown vom nicht genug zu preisenden China Mieville.)
Die Karte, Herrschaften, ist nicht das Territorium, das Wort ist kein Übergriff und die Waffe kein Mord! Man braucht keinen Derrida gelesen zu haben, um zu wissen, dass je nach den Umständen Arzttochter eine geringere, aber auch eine schwerere Beleidigung sein kann als Nigger, sonst wäre das sogenannte N-word privilege (das Recht, jemand einen Nigger zu heißen, ohne dass man deshalb seine langjährige Arbeitsstelle aufgeben muss) nicht denkbar.
Dass jede Nennung und jede Darstellung von etwas Unerwünschtem automatisch Zustimmung bedeute, das kannte man bisher eher von den Bewertungen der katholischen Filmkommission der 1970er Jahre als von einem Leitmedium des Abendlandes.
Denn leider ist es so: Der Rassismus geht nicht weg, wenn man Leute zur Kündigung mobbt, die ein rassistisch konnotiertes Wort nicht etwa in rassistischer Absicht verwendet, sondern es nur zitiert haben. Um ihn zu bekämpfen, ist es wahrscheinlich nützlich, möglichst viel über ihn zu erfahren. Ob Sprechverbote der geeignete Weg dafür sind, bleibe dahingestellt. Ich frage mich aber schon, was einer der 150 als Nächstes tut, wenn er zum Beispiel gottbehüte eine Krebsdiagnose kriegt. Sucht er sich dann einen Onkologen, der die Proben nicht unters Mikroskop, sondern in den Schrank legt, in der Hoffnung, dass das Übel dann verschwindet?
Wahrscheinlich nicht. Denken wir also daran, dass man nicht nur sprechen kann, sondern sich auch mit Sprache befassen (es sei denn, man ist einer von jenen in Embassytown). Schönes Wochenende!
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