Freitag, 12. März 2021

Deutschstunde 4

 

Die Schule, meine lieben und hochgebildeten Lesehäschen, ist ja viel besser als ihr Ruf. So haben sich nicht wenige, um ein Zentnerwort des Bundeskanzlers anzubringen, „Kulturverliebte“ echauffieren zu müssen geglaubt, als klar wurde, dass man für die aktuelle Deutschmatura  den Unterschied zwischen einer Erörterung und einer Meinungsrede kennen muss, sich aber aber jenen zwischen Faust und Mephisto, Thomas und Heinrich Mann (oder, wir sind schließlich in Österreich, Doderer und Drach) wurscht sein lassen kann.

Das ist richtig, hat aber seine Richtigkeit, weil alle, denen das ein Bedürfnis ist, ihren Trakl auch noch in der Pension buchstabieren können, während man sich im Erwerbsleben plötzlich der Notwendigkeit ausgesetzt sehen kann, eine der nunmehr so wichtigen Textsorten erneut zu beackern. Wer gäbe ein besseres Beispiel dafür ab als unser geliebter Kanzler selbst? Hat er doch einen Brief an die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft geschrieben und dabei seine für die Matura erworbenen Kompetenzen gut brauchen können. Denn offenbar hat Sebastian immer gut aufgepasst und konnte deshalb noch Jahre später abrufen, wie man laut Leitfaden im Deutschbuch für die achte Schulstufe eine Erörterung schreibt. Sein Brief passt jedenfalls perfekt dazu. (Dank gilt an dieser Stelle dem Zweckdichterbalg für die zeitweilige Überlassung von Deutschstunde 4.)

Nämlich beginne man mit einer Einleitung, die höchstens vier Sätze umfassen soll. Hier wecke man das Interesse durch Bezugnahme auf ein aktuelles Ereignis. Der Kanzler hat das perfekt umgesetzt und weckt Interesse durch die mittlerweile zu Recht berühmt gewordene Formulierung von den fehlerhaften Fakten, ehe er weisungsgemäß zum Hauptteil überleitet mit der Behauptung, dass er „gerne klarstellen würde“. Warum er das im Konjunktiv würde, weiß nur er selbst, aber so kleinlich muss man ja nicht sein.

Nun rät das Deutschbuch, man solle zuerst die abgelehnte Seite darstellen, mit deren Argumenten in absteigender Reihenfolge der Beweiskraft. Sieh an: Es kommen nacheinander der Termin mit Novomatic, während Kurz live im Fernsehen war; dann noch ein Termin mit Novomatic, den aber eine andere Kurzperson hatte, und schließlich der Hinweis, dass die übrigen Termine „im größeren Kreis“ stattgefunden hätten.

Als nächstes soll der Schüler den eigenen Standpunkt mit Argumenten in aufsteigender Reihenfolge der Beweiskraft darstellen. Sebastian weiß, was er zu tun hat: Dass der Rechnungshof 2017 und 2018 keine Spenden von Novomatic an die ÖVP gefunden hat, genügt zum Einstieg. Schwerer wiegt nach Ansicht des Kanzlers, dass er „täglich mehrere Stunden beschäftigt“ ist (ohne „damit“), Medienanfragen zu beantworten.

Am allerschlimmsten aber, deshalb bringt Kurz es als drittes Argument, ist natürlich der „Reputationsschaden für die Bundesregierung und damit für die gesamte Republik Österreich“.

Es ist möglicherweise nicht jedem gegeben, die Regierung so umstandslos mit der Republik zu identifizieren, wenn aber ein Kurz den Sonnenkönig in sich spürt (l’etat c’est moi), dann wollen wir ihm den Spaß einstweilen gönnen, zumal er recht brav nicht nur den Aufbau der einzelnen Aufsatzteile, sondern auch die „Formulierungshilfe Erörterung“ studiert hat. „Weise darauf hin“, „erlaube mir beizulegen“, „habe daher die Hoffnung“ – das ist alles sehr schön umgesetzt. Am allerbesten, weil für eine gelungene Viertklässler-Erörterung am wichtigsten, ist natürlich das wohlgesetzte „ich bin der Meinung“, nämlich, dass man sich als Kanzler nicht in eine Ermittlung einmischen solle, es sei denn, es ist opportun, weil der eigene Pressesprecher ein derartiger Tachinierer ist, dass man selber vor lauter Medienanfragen gar nicht mehr zum Regieren kommt, sodass man wohl oder übel einen offenen Brief an eine Justizbehörde schreiben muss, damit die dort merken, wie sehr man sich nicht in ihre Ermittlungen einmischt.

Schönes Wochenende!

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